Berlin/Paris - Es lief zuletzt nicht alles glatt im deutsch-französischen Verhältnis, und die Neuauflage des 56 Jahre alten Élysée-Vertrages erwies sich als ein mühsames Vorhaben. 1963 hatten die einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen. Nun soll der neue Freundschaftspakt am Dienstag in Aachen unterschrieben werden. Aber selbst Ort und Zeitplan waren lange strittig. Vor allem der Bundestag ist immer noch ziemlich beleidigt. Für Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron aber ist es mehr als nur ein symbolischer Akt.

Aber der Reihe nach: Als Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 in Paris den Élysée-Vertrag unterschrieben, hielt sich die Begeisterung durchaus in Grenzen. Auf deutscher Seite hegten viele den Verdacht, dass der General damit die noch junge Bundesrepublik aus dem Machtbereich der USA herauslösen wollte. Deshalb stellte der Bundestag eine Präambel vorweg, in der er sich zur Freundschaft mit den USA und Großbritannien bekannte.

Das ärgerte De Gaulle richtig. Aber er blieb doch bei seiner Linie, die historische Feindschaft zu begraben und «dem Rad der Geschichte in die Speichen zu greifen». Beide Seiten vereinbarten regelmäßige Konsultationen zwischen Präsident und Kanzler und auf Ministerebene. Die Regierungen sollten sich in allen wichtigen Fragen der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik absprechen. Das wenig später gegründete deutsch-französische Jugendwerk hat seitdem für Millionen Jugendliche die Freundschaft der beiden europäischen Kernländer mit Leben erfüllt.

Freundschaftspakt von Aachen

2013, ein halbes Jahrhundert später, der französische Präsident hieß François Hollande, und die Kanzlerin war auch schon über sieben Jahre im Amt, wurde über einen neuen Élysée-Vertrag gesprochen. Der Sozialist Hollande war dafür, aber die Deutschen hielten nicht so viel davon. Und der Politik-Wissenschaftler Alfred Grosser meinte: «Wozu, wo der Élysée-Vertrag mit seinem begrenzten Inhalt nicht erfüllt worden ist?»

Nach langen und zähen Verhandlungen ist es jetzt so weit. Der neue Freundschaftspakt wird in Aachen «unter den virtuellen Augen von Karl dem Großen» unterzeichnet, wie es Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert unlängst in Paris formulierte. Die Franzosen akzeptierten, dass der Vertrag nicht an historischer Stätte in Paris, sondern jenseits der Grenze besiegelt wird. Für Macron hat Aix-la-Chapelle, wie Aachen auf Französisch heißt, einen guten Klang: Er erhielt dort im Mai vergangenen Jahres den Karlspreis für sein Europa-Engagement. «Warten wir nicht ab. Handeln wir jetzt!», rief er damals. Von einem Vertrags-Vorspann mit einer Bekräftigung der transatlantischen Partnerschaft ist bei der Neuauflage keine Rede.

Der junge Präsident will durch seinen Schulterschluss mit Merkel vor allem zeigen, dass er an seinem europafreundlichen Kurs festhält und uneingeschränkt die Nähe zum großen Nachbarn Deutschland sucht. Der Staatschef hatte schon in seiner Pariser Europa-Rede vom September 2017 die Neuauflage des Élysée-Vertrages gefordert.

Das europäische Projekt stärken

Der Aachener Vertrag soll nach Pariser Vorstellung auch das europäische Projekt stärken - gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union in der Krise stecke. Die Franzosen haben da den Brexit oder das Erstarken populistischer Kräfte in vielen Ländern im Blick. Zu oft fühlte sich Macron auf der europäischen Ebene von Deutschland nur unzureichend unterstützt, etwa bei der Forderung nach einem Eurozonen-Budget und einem europäischen Finanzminister.

Für den einstigen Senkrechtstarter Macron ist das politische Umfeld zu Hause alles andere als einfach. Seit Ende vergangenen Jahres ist der 41-Jährige mit der schwersten Krise seiner bisherigen Amtszeit konfrontiert. Er muss nach Massenprotesten der «Gelbwesten» verlorenes Vertrauen bei seinen Bürgern zurückgewinnen. Und auch für Merkel fällt die Aachener Zeremonie nach ihrem Rückzug vom CDU-Vorsitz und vor wichtigen Wahlen in eine heikle Phase.

Die Regierungen in Paris und Berlin verweisen vor allem darauf, dass der neue Vertrag von Aachen zahlreiche konkrete Projekte vorsieht, von der Zusammenarbeit bei Sicherheitsfragen und Rüstungsprojekten bis zum engeren Zusammenwachsen der Grenzregionen, zu gemeinsamen Kindertagesstätten und einem besser koordinierten öffentlichen Nahverkehr.

Der Opposition in Berlin ist das alles nicht genug. Der Vertrag sei «eigentlich leer», kommentiert die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner. Er gehe über allgemeine Absichtserklärungen nicht hinaus, wichtige Themen wie soziale Standards, CO2-Besteuerung oder Steuergerechtigkeit würden nicht mit Substanz gefüllt.

«Affront» gegenüber den Parlamenten

Und dann noch der Streit über den Zeitpunkt: Brantner spricht von einem «absoluten Affront» gegenüber den Parlamenten. Die Abgeordneten hätten aus den Medien erfahren, dass Merkel und Macron nun den 22. Januar zur Unterzeichnung des Vertrags ausersehen haben - die lange geplanten Treffen von deutschen und französischen Abgeordneten in Berlin und Paris an diesem Tag wurden damit unmöglich. Von «anhaltender Verärgerung» ist die Rede, denn eigentlich sollte genau am Dienstag ein deutsch-französisches Parlamentsabkommen verabschiedet werden.

Aber es ist auch nicht alles schlecht: Die Franzosen haben überwiegend ein positives Bild von Deutschland, wie eine neue Umfrage zeigt. Der Abschluss des erneuerten Freundschaftsvertrages wird dabei mehrheitlich begrüßt, von überbordender Euphorie ist allerdings wenig zu spüren. Interessant ist aber, dass vor allen jungen Menschen Deutschland entdecken - fast jeder Zweite in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren war schon einmal auf der anderen Rheinseite.

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