Luxemburg - Hunderttausende, die in endlosen Trecks über den Balkan nach Westeuropa ziehen: Die Flüchtlingskrise versetzte Deutschland und die Europäische Union 2015 und 2016 in einen Ausnahmezustand. Regeln wurden ausgesetzt und Lösungen improvisiert - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte spontan, der Lage irgendwie Herr zu werden und schlimmeres Elend zu verhindern.

Knapp zwei Jahre später arbeitet der Europäische Gerichtshof die Krisenmonate juristisch auf und betont: Auch solche Extremsituationen setzen geltendes Recht nicht außer Kraft. Die EuGH-Urteile vom Mittwoch haben Auswirkungen auf Deutschland - direkt und indirekt. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was hat der EuGH entschieden?

Die Luxemburger Richter entschieden zwei verschiedene Stränge. Zum einen bestätigten sie den Grundsatz des EU-Asylrechts, dass Schutzsuchende Anträge normalerweisein in dem Land stellen müssen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten. Dieses sogenannte Dublin-Verfahren funktionierte während der Flüchtlingskrise kaum noch - Tausende Menschen wurden von überforderten Transitländern durchgewunken und stellten Asylanträge erst später in anderen EU-Staaten, oft in Deutschland. Dazu sagt der EuGH im Nachhinein: Geht so nicht. Konkret ist der EU-Grenzstaat Kroatien zuständig für die Asylverfahren der Menschen, die dort in die EU kamen.

Und das zweite Urteil?

Thema und Tendenz des zweiten Urteils sind ähnlich: EU-Asylregeln gelten, auch wenn es schwer fällt. In dem Fall ging es um einen Eritreer, den Deutschland nach den Dublin-Regeln in sein EU-Ankunftsland Italien zurückschicken wollte. Der EuGH stellte jedoch klar, dass dabei die in den EU-Regeln vorgesehene Frist von drei Monaten einzuhalten ist. Und die Uhr tickt, sobald ein Schutzsuchender auch nur formlos sein Gesuch stellt und das bestätigt bekommt. Die Auffassung deutscher Behörden, dass erst ein kompletter formaler Antrag mit Stempel und Dokumenten die Fristen auslöst, wiesen die Luxemburger Richter zurück.

Was bedeutet das für Deutschland?

Dieses zweite Urteil hat direkte Auswirkungen für Deutschland. Denn während der Flüchtlingskrise waren solche provisorischen Anträge üblich, während die Behörden bei den formalen Asylverfahren nicht hinterherkamen. Bei ähnlichen Fällen könnten nun Fristen verstrichen sein, so dass die Menschen hier ihr Asylverfahren betreiben können und nicht in andere EU-Länder zurückgeschickt werden. Pro Asyl geht von einer «nicht geringen Zahl von Asylsuchenden» aus. Das Bundesinnenministerium spricht aber nur von einer «mittleren bis gehobenen vierstelligen Anzahl von Personen».

Welche Folgen hat das indirekt für Deutschland?

Indirekt festigt der EuGH mit dem Urteil zu Kroatien aber die deutsche Position. Denn das Dublin-System hat damit Bestand, und das bedeutet: Für Asylsuchende sind vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen zuständig, derzeit insbesondere Italien, wo die Bootsflüchtlinge der zentralen Mittelmeerroute ankommen. Die Bundesregierung und die große Koalition in Berlin begrüßten dieses Urteil denn auch. Gleichzeitig betont das Innenministerium, dass trotz allem derzeit in etwa genauso viele Flüchtlinge Deutschland erreichen wie Italien. Im ersten Halbjahr waren es rund 90 000, in Italien wurden in der Zeit etwa 85 000 Menschen registriert. Klar ist also: Das EU-Asylsystem liegt auch ohne akute Krise im Argen.

Welche Lehren ergeben sich für die EU?

Die EU werkelt deshalb seit langem an Reformen und versucht es derweil mit Zwischenlösungen, also mit der Umverteilung von Ankömmlingen aus besonders belasteten Ländern wie Italien und Griechenland. Gegen beides gibt es aber enorme Widerstände. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz schloss aus den EuGH-Vorgaben: «Wir brauchen eine politische Verständigung auf eine europäische Flüchtlingspolitik, die diesen Namen auch verdient. Wir brauchen einen Solidarpakt für Europa.» Die Staaten an den Außengrenzen dürften nicht allein gelassen werden, meinte Schulz: «Solidarität ist keine Frage der Geografie. Solidarität ist eine Frage des Prinzips.»

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