«Aquarius», «Lifeline», «Diciotti» – die Namen der Rettungsschiffe sind mittlerweile ziemlich vertraut. Die im Mittelmeer umherirrenden Boote sind zum Sinnbild einer tatenlosen EU geworden. Immer wieder müssen Hunderte Menschen tagelang ausharren, ehe sie an Land gehen dürfen – in Italien, Malta oder Spanien. Warum ist die Situation so verfahren? Weshalb kriegt die EU nicht mehr als Behelfslösungen auf die Reihe? Und warum tut Deutschland nicht mehr?

Anstatt aus Seenot gerettete Migranten an Land zu bringen, zu versorgen und auf die EU-Länder zu verteilen, schauen die Hauptstädte mehr oder weniger zu - oder weg. Laut Internationaler Organisation für Migration sind in diesem Jahr bislang mehr als 1500 Menschen im Mittelmeer gestorben. Die italienische Regierung lässt die Situation mit jedem Schiff vor ihrer Küste weiter eskalieren. Am Freitag suchen Vertreter mehrerer EU-Staaten bei einem Krisentreffen in Brüssel nach einer Lösung.

Italien bleibt bei hartem Kurs

Jüngster Fall: Das Rettungsschiff der italienischen Küstenwache «Diciotti», das am Donnerstag vergangener Woche fast 200 Migranten aus Seenot rettete und seit Montagabend im Hafen der sizilianischen Stadt Catania liegt. Von Bord durften bislang nur Minderjährige und jene, die dringend medizinische Hilfe benötigten.

Der Innenminister Matteo Salvini rückt keinen Meter von seinem Anti-Migrations-Kurs ab – und ist sich des Beifalls vieler Italiener sicher. Sogar Ermittlungen wegen Freiheitsentzuges gegen Unbekannt instrumentalisiert er für sich. «Es ist kein Unbekannter, ERMITTELT GEGEN MICH!», schrieb er bei Twitter. «Ich bin es, der will, dass keine weiteren ILLEGALEN in Italien anlegen.»

Für die Hardliner ist die Situation ein Sieg. Die Bilder der umherirrenden Schiffe gehen um die Welt – und schrecken Flüchtlinge möglicherweise ab. Italien, Österreich, Ungarn – es gibt genug EU-Länder, die gegen «illegale Migranten» agitieren. Der kleinste gemeinsame Nenner der europäischen Migrationspolitik ist der verstärkte Schutz der Außengrenzen.

EU-Kommission scheint machtlos

Und Brüssel? Die EU-Kommission scheint machtlos und spricht gebetsmühlenartig vom «humanitären Imperativ». Das Wohl der Menschen an Bord der «Diciotti» müsse an erster Stelle stehen. Man sei mit EU-Ländern in Kontakt und arbeite an einer schnellen Lösung. Die ganze Woche wird nun schon an dieser schnellen Lösung gearbeitet.

Zuletzt – bei der «Lifeline», der «Aquarius» und all den anderen Schiffen – fanden sich nach einigen Tagen dann doch immer ein paar Länder, die bereit waren, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, unter ihnen auch Deutschland. Mitte Juli und Mitte August hatte Berlin noch die Aufnahme von jeweils 50 geretteten Migranten zugesagt. Innenminister Horst Seehofer (CSU) wäre vielleicht auch bereit, einige Menschen der «Diciotti» aufzunehmen. Doch diesmal zögert Deutschland, weil sich bisher kaum andere EU-Staaten gefunden haben, die sich an der Aktion beteiligen wollen.

Seehofer erwartet von Italien außerdem mehr Entgegenkommen bei den laufenden Verhandlungen über ein Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern, die in Italien schon einen Asylantrag gestellt haben. Diese Erwartungshaltung hatte die Bundesregierung schon bei der ersten Aufnahmeaktion im Juli deutlich formuliert.

Weiterhin EU-weite Lösung gefordert

Mehr Entgegenkommen von anderen Ländern fordert auch EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Regelmäßig sagt er, es brauche eine EU-weite Lösung; nicht ein einzelnes oder einige Länder seien für die Lösung der Migrationsfrage verantwortlich, sondern der gesamte Staatenbund.

Der gesamte Staatenbund? Die EU-Kommission hat Vertreter der EU-Länder angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate für Freitag eingeladen. Einem Sprecher zufolge soll es um einen gemeinsamen Ansatz und nachhaltige Lösungen gehen. Für diesen «gemeinsamen Ansatz» wurden allerdings nur zwölf Länder eingeladen. «Natürlich steht das Treffen jedem Mitgliedstaat offen, der an einer europäischen Lösung interessiert ist», sagt der Sprecher.

Aus Sicht der EU-Kommission dürften neben Deutschland auch Italien, Griechenland, Malta, Österreich, Spanien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Irland und Portugal an einer europäischen Lösung interessiert sein. Beim jüngsten EU-Gipfel Ende Juni hatten sich noch alle 28 Staats- und Regierungschefs mit Blick auf die Bootsflüchtlinge auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt: Auf freiwilliger Basis könnten die EU-Länder «kontrollierte Zentren» einrichten. Die EU-Kommission hatte dazu Ende Juli schließlich einen Vorschlag vorgelegt, weiteren Fortschritt hat es bislang nicht gegeben.

Könnten sich die zwölf Staaten am Freitag auf eine langfristige Lösung einigen, etwa einen Verteilungsschlüssel für aus Seenot gerettete Flüchtlinge? Das scheint unwahrscheinlich. Mehrere EU-Staaten dürften argumentieren, dies könnte noch mehr Menschen aus Afrika anziehen.

So müsste die EU weiterhin kurzfristig reagieren, wenn mal wieder ein Rettungsboot mit Hunderten Menschen vor der italienischen Küste liegt. Wie das Schiff heißen wird, weiß man nicht. Dass es kommen wird, ist sicher.

 

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