«Die Leute wollen, dass es endlich mit dem Brexit losgeht.» David Creasey, Besitzer einer Pension im Stoke-on-Trent, ist genervt von den zähen Verhandlungen zwischen London und Brüssel in den vergangenen Monaten. Stoke-on-Trent ist die britische «Brexit-Hauptstadt»: Fast 70 Prozent stimmten dort wie Creasey für den Austritt aus der Europäischen Union. In einem Jahr - am 29. März 2019 - wird sein Land die Staatengemeinschaft verlassen.

Stoke-on-Trent war nie eine besonders schöne Stadt. Vor etlichen Jahren begann dann auch noch der wirtschaftliche Niedergang: Kohle- und Stahlbetriebe sowie viele der traditionellen Töpfereien schlossen ihre Tore, moderne Keramikhersteller leiden unter Billigprodukten aus Asien. Geschäfte sind verrammelt, Wohnungen leer, ganze Straßenzüge wirken marode. Obdachlose übernachten hier und dort in Müllbehältern.

Der EU-Austritt ist für die Leute in der englischen Stadt so etwas wie ein Aufschrei - der Versuch, die Geschicke irgendwie wieder selbst zu steuern. «Würde es ein zweites Brexit-Referendum geben, dann wäre das Ergebnis in Stoke-on-Trent wieder so eindeutig», ist sich Creasey sicher. Landesweit fiel die Abstimmung im Juni 2016 allerdings weit knapper aus: Etwa 52 Prozent votierten für die Scheidung von der EU.

«Der Tag wird kommen, wenn Sie ihre Entscheidung bereuen»

Dass damals fast die Hälfte gegen den Austritt war und erst danach klar wurde, wie kompliziert und riskant der historische Bruch wird, nährt auf EU-Seite immer wieder Hoffnung, die Briten könnten bald zur Besinnung kommen. «Der Tag wird kommen, wenn Sie ihre Entscheidung bereuen», schmetterte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Mitte März im Europaparlament dem Brexit-Hardliner Nigel Farage entgegen. «Der Brexit ist schlecht für uns alle», meinte auch der CDU-Europapolitiker Elmar Brok.

Eine Entscheidung ohne Gewinner, ökonomischer Wahnsinn, programmiertes Chaos - so sehen auf EU-Seite fast alle gemäßigten Parteien die britischen Pläne. Man vergisst darüber leicht, dass es Brexit-Vorkämpfern wie Farage kaum schnell genug gehen kann. Das Beste sei ein schneller Bruch ohne Übergangsfrist, wiederholt gebetsmühlenartig Farage von der EU-feindlichen Ukip-Partei. Seine Kollegin Diane James meinte in der Debatte im EU-Parlament: «Das Vereinigte Königreich hat nicht den Wunsch, ein Vasallenstaat zu sein.»

Viele Briten sind weit weniger radikal und kategorisch, und doch sind etliche genervt von den schwierigen Verhandlungen mit der EU. Denn die Regierung in London ist sich nicht einig über den Brexit-Kurs und schwankt zwischen lautstarken Ansagen von Hardlinern wie Außenminister Boris Johnson oder Brexit-Minister David Davis und Kompromissangeboten von EU-freundlicheren Politikern wie Schatzkanzler Philip Hammond. Dazwischen macht Premierministerin Theresa May, die seit einer fehlgeschlagenen Neuwahl nur noch mit hauchdünner Mehrheit und Unterstützung der nordirischen DUP regiert, am Verhandlungstisch kleinlaut Zugeständnisse.

Einige heilige Kühe der Brexiteers schon geschlachtet

Einige heilige Kühe der Brexiteers hat May schon geschlachtet. Keine weiteren Zahlungen an Brüssel? May hat einer Austrittsrechnung zugestimmt, die sich nach eigenen Berechnungen auf fast 42 Milliarden Euro beläuft. Sofortige Zuwanderungsbegrenzung? Fürs Erste ändert sich für EU-Bürger nichts. Schneller harter Bruch? Auf Drängen Londons wurde gerade eine fast zweijährige Übergangsfrist bis Ende 2020 vereinbart, in der Großbritannien weiter alle EU-Regeln befolgt und nach Brüssel Beiträge zahlt, aber dort nicht mehr mitreden darf.

Und selbst für die Zeit danach hat May kürzlich eine weitgehende Angleichung der «regulatorischen Standards» angeboten und einer Aushöhlung von Steuer-, Sozial- und Umweltregeln eine Absage erteilt. Sie weiß, dass das der Preis ist für möglichst reibungslose Wirtschaftsbeziehungen mit der EU. Der Traum der Brexiteers, alle Fesseln der EU abzuschütteln und künftig als Steueroase Geschäfte und Investitionen aus aller Welt anzulocken, dürfte so kaum in Erfüllung gehen.

Brüssel hofft nach Angaben von Diplomaten zudem weiter, Großbritannien auch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion halten zu können. Damit wäre das Land weiter eng an die EU angedockt. May lehnt dies bisher ab. Doch man hat sie schon mehrfach einknicken sehen.

Was aber würde sich dann ändern für die Enttäuschten in Stoke-on-Trent, nach einem symbolischen Freudenfeuerwerk am 29. März 2019? «Es ist doch nicht normal, dass man zwei, drei Jobs haben muss, um überleben zu können», schimpft ein Taxifahrer. «Und es geht nicht nur uns in Stoke-on-Trent so.» Er hält die EU für einen Abzocker und May für inkompetent. Aber wer könnte die Premierministerin ersetzen? Johnson, Davis oder der erzkonservative Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg, der eine Gruppe von Brexiteers im Londoner Parlament anführt? «Das sind doch alles Narren», sagt der Taxifahrer. «Das ist unser Problem: Wir haben keine vernünftige Alternative.»

Von Silvia Kusidlo und Verena Schmitt-Roschmann

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