Getrieben von der deutschen Regierungskrise und Forderungen aus Italien hat die Europäische Union sich auf eine Verschärfung ihrer Asylpolitik geeinigt. Künftig können demnach gerettete Bootsflüchtlinge in geschlossenen Aufnahmelagern in der EU untergebracht werden. Ähnliche Lager in Nordafrika werden geprüft. Die Grenzschutzagentur Frontex soll schon bis 2020 verstärkt, die EU-Außengrenzen sollen stärker abgeriegelt werden. Kanzlerin Angela Merkel begrüßte die in der Nacht zum Freitag erzielte Einigung.

Ob die Gipfelbeschlüsse reichen, um den erbitterten Koalitionsstreit zwischen Merkels CDU und der Schwesterpartei CSU beizulegen, blieb zunächst unklar. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte vorab damit gedroht, an den deutschen Grenzen Asylbewerber zurückzuweisen, die schon in einem anderen EU-Land registriert sind. Merkel wollte dies unbedingt mit einer europäischen Lösung verhindern. In der Gipfelerklärung heißt es dazu: «Mitgliedstaaten sollten alle nötigen internen gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen ergreifen, um solchen Bewegungen entgegenzuwirken, und dabei eng zusammenarbeiten.»

Merkel nannte die Einigung auf einen gemeinsamen Text der 28 Staats- und Regierungschefs eine «gute Botschaft». Es warte zwar noch eine Menge Arbeit am gemeinsamen europäischen Asylsystem. «Aber ich bin optimistisch nach dem heutigen Tag, dass wir wirklich weiter arbeiten können», sagte die CDU-Chefin.

Europa zeigt "Handlungsfähigkeit"

Der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und CSU-Vizevorsitzende Manfred Weber zog ein positives Fazit: «Der EU-Gipfel hat einen großen Schritt hin zu einer besseren Migrationspolitik gemacht.» Die EU zeige Handlungsfähigkeit, «nicht zuletzt auch, weil CDU und CSU gemeinsam Druck machen». Nach Ansicht von CSU-Vorstandsmitglied Hans Michelbach gehen die Beschlüsse «in die richtige Richtung». Im ARD-«Morgenmagazin» sprach er zugleich von einem «Formelkompromiss, der natürlich auch umgesetzt werden muss».

Auch EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger lobte die Beschlüsse. «Ich glaube, das Ganze ist ein wichtiger und großer Schritt», sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Er sehe «gute Gründe, dass die CSU dies als einen großen Fortschritt anerkennt (...) und dann die Frist am 1. Juli nicht auslöst, sondern (...) weitere Schritte abgewartet werden».

Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft forderten die Union eindringlich zu einer Einigung im Asylstreit auf und gaben Merkel für ihren Kurs Rückendeckung. «Was wir jetzt brauchen, ist eine stabile und entschlossene Regierung, die konstruktiv, lösungsorientiert und besonnen mit ihren europäischen Partnern zusammenarbeitet», heißt es in einem gemeinsamen Appell der Verbände BDI, BDA, DIHK und ZDH.

"Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten"

Geradezu euphorisch äußerte sich in Brüssel der italienische Regierungschef Giuseppe Conte, der zeitweilig mit einer Blockade des Gipfels gedroht und eine ganze Reihe Forderungen aufgestellt hatte. Nach dem Durchbruch sagte er: «Bei diesem Europäischen Rat wird ein verantwortungsvolleres und solidarischeres Europa geboren. Italien ist nicht mehr allein.» Conte hatte darauf gedrungen, dass die übrigen EU-Länder Italien mehr Flüchtlinge abnehmen und sich an der Aufnahme aus Seenot geretteter Menschen beteiligen.

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Dazu könnten die Aufnahmelager in der EU dienen, die einzelne Mitgliedstaaten freiwillig bei sich errichten können. Schutzbedürftige sollen aus diesen Lagern dann ebenfalls freiwillig von Ländern übernommen werden. Wer dazu bereit ist, blieb offen. Ob zusätzlich noch Aufnahmelager in Drittstaaten - also wohl in Nordafrika - entstehen sollen, soll zunächst geprüft werden. Allerdings lehnen die betroffenen Staaten dies bislang ab.

Bei diesen möglichen Sammelstellen für Bootsflüchtlinge außerhalb der EU werde mit dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammengearbeitet und internationales Recht eingehalten, versicherte Merkel: «Ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir gesagt haben: Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten.»

Focus auf Schutz der EU-Außengrenzen

Der französische Präsident Emmanuel Macron lobte den Beschluss als «europäische Lösung». Diese sei besser als nationalstaatliche Einzellösungen, die ohnehin nicht getragen hätten. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz äußerte sich erfreut, dass viele EU-Staaten nun den Fokus ganz klar auf Reduzierung von Migration und Schutz der EU-Außengrenzen legten.

Die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Ska Keller, sagte hingegen NDR Info, die Staats- und Regierungschefs hätten eine «Giftliste» beschlossen, die nur auf Abschottung setze. Es drohe das Ende des Asylrechts in Europa. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach von einem «Gipfel der Inhumanität». Flucht sei kein Verbrechen. «Gefolterte und Verfolgte einfach so in Europa wegzusperren, ist inhuman», sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. «Innerhalb und außerhalb der EU entstehen nun Lager der Hoffnungslosigkeit.»

Die EU-Staaten einigten sich im Zuge der Migrationsdebatte auch auf die Finanzierung weiterer drei Milliarden Euro, die der Türkei für Syrienflüchtlinge zugesagt sind. Außerdem wollen sie die Wirtschaftssanktionen gegen Russland um weitere sechs Monate verlängern, weil in der Ostukraine Fortschritte im Friedensprozess fehlen.

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