Frankfurt/Main - Ein zweiter Mario Draghi will Christine Lagarde nicht sein. «Ich habe meinen eigenen Stil», betont die Französin zu Beginn ihrer Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie will Entscheidungen der Notenbank besser erklären und die Strategie der Zentralbank überprüfen. Doch die Coronavirus-Pandemie zwingt die Währungshüter erneut in die Rolle der geldpolitischen Feuerwehr. Die seit dem 1. November 2019 amtierende EZB-Präsidentin ist nun als Krisenmanagerin gefordert.

«Als ich mein Amt angetreten habe, hat man mir gesagt, dass nichts mehr für mich zu tun sei, das alles erledigt sei», sagte die Juristin, die anders als ihre drei Vorgänger nie an der Spitze einer nationalen Notenbank stand, jüngst der französischen Zeitung «Le Monde». «Aber das war eindeutig nicht der Fall!»

Arbeiten mit Leidenschaft

Ihr erstes Jahr an der EZB-Spitze sei «unglaublich schnell vorbeigegangen», sagte Lagarde. «Es war ein ziemlicher Ritt und sicher nicht wie erwartet.» Sie fülle die Aufgabe aber mit Leidenschaft aus.

Ölpreisschock und Börsencrash zu Beginn der Pandemie, gefolgt von einem historischen Konjunkturabsturz setzen Europas Währungshüter unter Druck. Mit einem milliardenschweren Notkaufprogramm stemmt sich die Notenbank gegen die Verwerfungen.

Im Rahmen des Programms PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) will die EZB bis mindestens Ende Juni 2021 die gewaltige Summe von 1,35 Billionen Euro in Staats- und Unternehmensanleihen stecken. Und es könnte noch mehr werden, angesichts wieder steigender Infektionszahlen und den damit verbundenen Folgen für die Wirtschaft.

Notenbank kann weiter gegensteuern

Die EZB werde die Entwicklung den Herbst über beobachten, sagte Lagarde in dem Interview. Sollte sich die Lage eintrüben, könne die Notenbank gegensteuern. Die geldpolitischen Möglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. «Wenn mehr getan werden muss, werden wir mehr tun», betont die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) regelmäßig. «Es gibt für unseren Einsatz für den Euro keine Grenzen.»

Doch ausgerechnet zu Beginn der Pandemie sorgte Lagarde, die keine Ökonomin ist, für Verwirrung an den Märkten. Sie strebe kein «Whatever it takes 2.0» an, sagte sie Anfang März in Anspielung auf ihren Vorgänger. Draghi hatte im Sommer 2012 mit wenigen Worten die Eurozone in ihrer bis dato tiefsten Krise stabilisiert: «Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten» («Whatever it takes»).

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Der Euro kostete Ende Oktober 1,1698 Dollar.

Eine Woche nach Lagardes Aussage schnürte die EZB eilends das Notkaufprogramm PEPP. Gerade einmal ein paar Monate hielt somit Lagardes kurz vor Amtsantritt formulierte Hoffnung, «niemals» so etwas wie Draghi sagen zu müssen.

Der ehrgeizige Zeitplan der früheren französischen Wirtschafts- und Finanzministerin zur Überprüfung der EZB-Strategie («Wir werden jeden Stein umdrehen.») ist durch die Corona-Krise ins Wanken geraten. Doch an dem Vorhaben hält Lagarde fest. Sie will die Nebenwirkungen der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik genauer unter die Lupe nehmen.

Bei der ersten Strategieüberprüfung seit 2003 geht es um den geldpolitischen Werkzeugkasten, die Messung der Inflation und die Kommunikation der Notenbank. Auch Aspekte wie die Herausforderungen durch den Klimawandel sollen berücksichtigt werden.

EZB im Dienst des Bürgers

Lagarde sucht dabei auch den Austausch mit Gewerkschaften, Verbänden und Bürgern. «Wir wollen zuhören, und wir wollen lernen.» Europas oberste Währungshüterin will besser erklären, was die EZB tut und warum die Zentralbank es tut. Die Währungshüter sollen sich nicht hinter der gläsernen Fassade des EZB-Turmes im Osten Frankfurts verschanzen, sondern präsent sein. «Die EZB steht im Dienst der europäischen Bürger», betont Lagarde.

Gerade in Deutschland hatte ihr Vorgänger Draghi einen schweren Stand. Null- und Negativzinsen machen nicht nur Sparern das Leben schwer, sondern insbesondere Banken und Sparkassen. Europas Finanzsektor ist mehr als zehn Jahre nach der Finanzkrise nach wie vor vergleichsweise schwach. Auch im EZB-Rat, dem obersten Entscheidungsgremium der Notenbank, war Draghis Kurs umstritten.

ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski beschrieb das Jobprofil Lagardes zu Beginn ihrer Amtszeit so: Eine mögliche Normalisierung der Geldpolitik, die Wiederbelebung des Team-Geistes im EZB-Rat und die Vorbereitung der strategischen Überprüfung. Inzwischen - so das Zwischenfazit des Ökonomen - sei Lagarde durch «die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gegangen». Und die Krise hält an.

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