Berlin/Brüssel - Deutschland und die übrigen EU-Staaten haben sich hinter den Brexit-Handelspakt mit Großbritannien gestellt. In Berlin wertete das Bundeskabinett unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel das Abkommen positiv. In Brüssel votierten die EU-Botschafter für die vorläufige Anwendung ab 1. Januar.

Das mühsam ausgehandelte Handels- und Partnerschaftsabkommen soll die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent ab Januar 2021 regeln. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden und möglichst reibungslosen Handel zu sichern. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen.

Das Bundeskabinett sei sich in einer Telefonkonferenz «einig in der positiven Würdigung des Abkommens» gewesen, erklärte Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. «Deutschland kann dem Abkommen zustimmen.» Ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft meldete kurz darauf, die EU-Botschafter hätten einstimmig für die vorläufige Anwendung ab Anfang Januar gestimmt und das schriftliche Verfahren zur formalen Zustimmung gestartet. Die vorläufige Anwendung des Vertrags ist nötig, weil für eine Ratifizierung durch das Europaparlament vor dem Jahresende die Zeit fehlt - sie soll nach Neujahr nachgeholt werden. Schon zum 31. Dezember läuft die Übergangsfrist nach dem britischen EU-Austritt vom Januar ab, und Großbritannien scheidet auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Auf britischer Seite soll das Parlament am 30. Dezember dem Vertrag zustimmen.

Britische Fischer fühlen sich betrogen

Die Unterhändler beider Seiten hatten sich erst an Heiligabend auf das knapp 1250 Seiten starke Dokument geeinigt. Es soll einen harten wirtschaftlichen Bruch vermeiden. Gleichwohl werden die Beziehungen beider Seiten künftig weit weniger eng sein als bisher. So werden trotz Vertrags an den Grenzen Warenkontrollen nötig, unter anderem, weil Nachweise für die Einhaltung von Lebensmittel- und Produktstandards erbracht werden müssen. Britische Fischer fühlen sich bei dem Brexit-Deal von Premierminister Boris Johnson betrogen. «Boris Johnson hat uns die Rechte an allen Fischen versprochen, die in unserer exklusiven Wirtschaftszone schwimmen, aber wir haben nur einen Bruchteil davon erhalten», sagte der Chef des nationalen Verbunds der Fischereiorganisationen (NFFO), Andrew Locker, dem Sender BBC Radio 4. «Ich bin wütend, enttäuscht und fühle mich betrogen.» Britische Fischer müssten nun schwer kämpfen, um ihre Existenz zu erhalten.

Der britische Staatsminister Michael Gove widersprach. Großbritannien werde vielmehr in einer viel stärkeren Position als in der EU sein, sagte Gove dem Sender. Unter der gemeinsamen Fischereipolitik der EU hätten britische Fischer nur Zugang zu 50 Prozent der Fische in britischen Gewässern gehabt. Diese Zahl steige nun bis 2026 auf zwei Drittel, sagte Gove.

Die Fischerei war bis zuletzt einer der härtesten Streitpunkte gewesen. Vereinbart wurde letztlich, dass die EU in einer Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren schrittweise auf 25 Prozent ihrer bisherigen Fangquote in britischen Gewässern verzichtet, gemessen am Wert des Fischs. Sollte London den Zugang später weiter beschneiden, könnte Brüssel mit Zöllen antworten. Beobachter werteten die Vereinbarung als großes Zugeständnis Londons. Auf EU-Seite ist die Europäische Fischerei-Allianz aber ebenfalls enttäuscht. «EU-Fischer werden einen hohen Preis für eine Brexit-Vereinbarung zahlen», klagte der Verband vorige Woche. Ihre Zukunft sei ungewiss.

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Grafik-Karte Nr. 101847, Hochformat 60 x 100 mm, "Brexit & Handelsabkommen: Die britischen Inseln"; Grafik: M. Mühlenbruch, Redaktion: D. Loesche

 Brexit & Handelsabkommen: Die britischen Inseln

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Brexit-Handelspakt

Der mehr als 1200 Seiten starke und mittlerweile online veröffentlichte Vertragstext regelt Fragen zum Handel, der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und dem Krankenversicherungsschutz Reisender bei Notfällen. Die wichtigsten Fragen:

Kein No Deal also, aber ist das nun ein weicher Brexit? Nein. Die weiche Landung, die sich viele in der EU noch lange erhofft hatte, war spätestens mit dem Wahlerfolg Boris Johnsons im vergangenen Jahr vom Tisch. Großbritannien verlässt Binnenmarkt und Zollunion und ist deutlich weiter vom Orbit Brüssels entfernt als beispielsweise Norwegen oder die Schweiz. Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten des Ärmelkanals hatten sich deutlich mehr erhofft. Die Zusammenarbeit ist auf ein Minimum beschränkt. Der Brexit ist also eher hart. Aber es ist kein Sturz über die Klippe mit chaotischen Folgen für Wirtschaft und Menschen.

Was bedeutet das für den Handel? Es wird erheblich schwieriger als bisher. Für Unternehmen auf beiden Seiten werden deutlich mehr Formalitäten zu erledigen sein. Zwar fallen für britische Waren durch den Handelspakt künftig keine Zölle an, doch britische Exporteure in die EU müssen vom Jahreswechsel an aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte tatsächlich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden. Auch Nachweise für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards müssen künftig erbracht werden.

Die britische Regierung hat angekündigt, vorerst einmal alles durchzuwinken, was aus der EU kommt. Erst nach und nach sollen Papiere vorgelegt werden müssen und Kontrollen stattfinden. Doch auf EU-Seite sieht das anders aus. Die französische Regierung kündigte an, britische Waren vom Jahreswechsel an «massiv» zu überprüfen. Auch für die Dienstleistungsbranche, die rund 80 Prozent der britischen Bruttowertschöpfung ausmacht, wird der Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit dem Ende der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember erheblich schwerer.

Warum war das Thema Fischerei so schwierig? Obwohl die Fischerei wirtschaftlich kaum eine Rolle spielt, war das Thema am schwierigsten zu lösen. Das hat mit dem starken Fokus zu tun, den die britische Regierung bei den Verhandlungen auf das Thema Souveränität und Kontrolle legte. Großbritannien müsse seine Unabhängigkeit wiedererlangen - das war das Mantra der Brexit-Befürworter seit dem Referendum im Jahr 2016. Die Kontrolle über die eigenen Fischereigewässer wurde dafür zum wirkmächtigsten Symbol. Trotzdem hat London bei den Verhandlungen große Zugeständnisse gemacht. Europäische Fischer müssen zunächst nur auf ein Viertel ihrer Fangquoten verzichten - gestaffelt auf fünfeinhalb Jahre. Sollte London ihren Zugang später weiter beschneiden, könnte Brüssel das mit Zöllen beantworten.

Woran hakte es zuletzt noch? Ein weiteres kniffliges Thema war die Frage nach gleichen Wettbewerbsbedingungen. Brüssel wollte verhindern, dass die Briten ihre Standards bei Arbeitnehmerrechten und dem Umweltschutz senken und sich dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Auch die Gefahr, dass London die Standards «einfriert», während sie in der EU im Laufe der Jahre weiterhin steigen, sollte gebannt werden. Ob das der Fall ist, soll nun von unabhängiger Seite geprüft werden. Notfalls könnte die EU mit Zöllen reagieren, um ihren Markt zu schützen.

Was versprechen sich die Briten eigentlich vom EU-Austritt? Der Austritt aus der Zollunion erlaubt Großbritannien auf eigene Faust Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA, Indien oder China zu schließen. Premier Boris Johnson will das Land zudem zum global führenden Standort für Zukunftstechnologie machen. Das Vereinigte Königreich solle ein «Saudi-Arabien der Windkraft» und eine «Supermacht für Wissenschaft und Forschung» werden, kündigte er an. Elektromobilität und künstliche Intelligenz sind Bereiche, die London kräftig subventionieren will. Deswegen wohl hat sich die britische Regierung standhaft dagegen gewehrt, sich weiterhin den EU-Regeln zu staatlichen Wirtschaftshilfen zu unterwerfen. Einen gemeinsamen Rahmen müssen die Briten jedoch trotzdem einhalten.

Unterm Strich ist der ökonomische Schaden, der durch den Brexit angerichtet wird, laut Experten durch nichts wiedergutzumachen. Der Brexit gilt daher vor allem als politisches Projekt, das von einer Sehnsucht zu den goldenen Zeiten des britischen Empires angetrieben wurde. Zudem war der EU-Austritt das Vehikel für eine grundlegende Veränderung der politischen Landschaft in Großbritannien, bei der eine bis zum Referendum marginalisierte Gruppe innerhalb der konservativen Regierungspartei das Ruder übernahm.

Was ändert sich für Deutsche, die nach Großbritannien reisen oder auswandern? Die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und Großbritannien endet mit dem 31. Dezember 2020. Das bedeutet, wer künftig in Großbritannien arbeiten und leben will, muss ein Visum beantragen. Das soll durch ein punktebasiertes System geregelt werden, bei dem Faktoren wie die Höhe des Einkommens und die Branche eine Rolle spielen. Für Touristen wird es bei kürzeren Reisen keine Visumspflicht geben. Eine gute Nachricht ist, dass die Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) unter dem Deal erst einmal gültig bleibt, solange sie nicht abgelaufen ist. Auch in der Zukunft sollen Reisende im Notfall von ihrem Krankenversicherungsschutz im Heimatland Gebrauch machen können. Nicht im Abkommen geregelt, aber dennoch wichtig für Großbritannien-Touristen dürfte sein, dass die großen Telefonanbieter weiterhin keine Roaming-Gebühren erheben wollen.

Gefährdet der Brexit den Frieden in Nordirland? Die Gefahr, dass zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitgliedsstaat Irland Grenzkontrollen eingeführt werden müssen, wurde eigentlich bereits im Austrittsabkommen gebannt. Für den Fall wurde mit einem Wiederaufflammen des Konflikts zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands und überwiegend protestantischen Anhängern der Union mit Großbritannien in Nordirland gerechnet. Nachdem die Regierung in London die Regelung des Austrittsvertrags mit einem Gesetzesvorhaben zunächst infrage gestellt hatte, lenkte sie inzwischen ein. Nordirland erhält damit einen Sonderstatus und bleibt enger an die EU gebunden als der Rest des Königreichs.

Was bedeutet der Deal für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz? Hier bleiben beide Seiten verhältnismäßig eng zusammen. Die Kooperation britischer Behörden mit den EU-Agenturen Europol und Eurojust soll weiterlaufen. Aber London kann die Regeln für diese Agenturen nicht mehr mitgestalten. Auch gibt es Vorkehrungen für eine enge Zusammenarbeit der britischen Polizei und Justiz mit denen der EU-Staaten. Auf bestimmte EU-Datenbanken haben die Briten künftig keinen Zugriff mehr - etwa das Schengener Informationssystem, in dem unter anderem zur Fahndung ausgeschriebene Personen gespeichert werden. Wohl aber kann das Vereinigte Königreich weiter auf die EU-Datenbank zur Fluggastdaten-Speicherung, auf Fahrzeugregisterdaten oder das EU-Strafregister zugreifen. Auch bei grenzüberschreitenden Gefahren für die Gesundheit - siehe Corona - und dem Austausch geheimer Informationen soll weiter zusammengearbeitet werden.

Welche Bereiche sind nicht im Brexit-Handelspakt geregelt? Das Thema Außen- und Sicherheitspolitik wurde auf Wunsch der britischen Regierung von den Verhandlungen ausgenommen. «Vom 1. Januar an wird es keinen Rahmen zwischen Großbritannien und der EU geben, um eine koordinierte Antwort auf außenpolitische Herausforderungen zu entwickeln und zu koordinieren», heißt es in einer Übersicht der EU-Kommission. Das betreffe beispielsweise Sanktionen gegen Einzelpersonen oder die Wirtschaft von Drittstaaten.

Auch die automatische Anerkennung von Berufsabschlüssen fällt weg. Beispielsweise Ärzte, Ingenieure und Architekten und viele weitere Berufsgruppen müssen ihre Qualifikation künftig nach den Regeln der einzelnen Länder, in denen sie arbeiten wollen, nachweisen. Am europäischen Erasmus-Programm zum Studentenaustausch wird Großbritannien künftig nicht mehr teilnehmen.

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