Brüssel - Ernst und müde stand Federica Mogherini vor den sechs Europafahnen in der EU-Vertretung in Rom und begann mit einer seltsamen Vorrede. «Die Vereinigten Staaten sind unser engster Partner und Freund und natürlich werden wir weiter zusammenarbeiten.» Als wollte sich die EU-Außenbeauftragte das selbst noch einmal ins Gedächtnis rufen.

Es war Dienstagabend kurz nach halb neun. Gerade hatte Donald Trump seinen Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran verkündet - bei weitem nicht das erste Mal, dass der US-Präsident die Europäer brachial vor den Kopf stieß. Die Breitseiten gegen angeblich säumige Nato-Partner, die Absage an das Pariser Klimaabkommen, die Strafzölle auf Stahl und Aluminium, Sanktionen gegen Russland und den Iran, die auch europäische Unternehmen treffen könnten - Trump eröffnet eine Front nach der anderen gegen treue Verbündete.

Deutschland und die übrigen EU-Länder sahen eine Weile ratlos zu, nun aber scheint für einige das Maß voll. Wie schon beim Klimaschutz stehen die Europäer beim Iran-Deal vor den Trümmern eines internationalen Abkommens und versuchen, die Ruine irgendwie vor der amerikanischen Abrissbirne zu retten. Es geht inzwischen ums Grundsätzliche - um einen europäischen Gegenentwurf zu Trumps Weltpolitik.

Europas Schicksal

Es sei einfach nicht richtig, ein vom UN-Sicherheitsrat bestätigtes Abkommen einseitig aufzukündigen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag beim Katholikentag in Münster. «Wir entscheiden uns auch in schweren Zeiten für die Stärkung des Multilateralismus.» Damit knüpfte Merkel direkt an ihre Rede bei der Karlspreisverleihung am Vortag an, wo sie sagte: «Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.» Auch Preisträger Emmanuel Macron predigte dort Souveränität und Selbstbestimmung der Europäer.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat bereits eine geschlossene Linie zu Trumps Iran- und Handelspolitik angekündigt. Nächsten Mittwoch soll der EU-Sondergipfel in Sofia eine Antwort geben auf den erratischen Mann im Weißen Haus, der dem Rest der Welt neue Regeln diktiert.

Es war Macron, der die tiefe Kluft kürzlich in Washington besonders deutlich machte. Erst inszenierte der französische Staatschef einen kumpeligen Männerbund mit dem 31 Jahre älteren Trump und ließ sich telegen Schuppen vom Revers zupfen, dann las er dem America-First-Präsidenten in einer Rede im Kongress die Leviten.

«Das ist ein kritischer Moment», mahnte Macron. Die Handlungsfähigkeit internationaler Institutionen wie Nato und UN sei bedroht. Die USA hätten den Multilateralismus einst erfunden, auch die neue Weltordnung des 21. Jahrhunderts müsse darauf bauen. «Dafür ist das Engagement der USA nötiger denn je», appellierte der französische Präsident.

Tugend der Diplomatie

Die Zusammenarbeit vieler Staaten, Verträge, Regeln, Ringen, Konsens - das ist die typisch europäische Antwort auf Probleme und Krisen, immerhin ist die Europäische Union selbst angelegt auf diese oft mühselige Suche nach Kompromissen. Ganz anders als Trump mit seinen drastischen Alleingängen, Finten und Drohungen.

Die Europäer sind stolz auf die alten Tugenden der Diplomatie, auf die Kunstfertigkeit des Ausgleichs - die Außenbeauftragte Mogherini nannte das Iran-Abkommen sogar «eine der größten Errungenschaften, die die Diplomatie je geliefert hat». Dem US-Präsidenten war es egal.

Aber es ist nicht nur unterschiedliche Politik und Weltsicht, die die transatlantischen Partner entzweit. Die Europäer fühlen sich schlicht unverschämt behandelt. «Vor Trump war es unvorstellbar, dass ein US-Präsident Staats- und Regierungschefs der EU mit einer so schnoddrigen Erklärung abbügelt», empörte sich CDU-Europapolitiker Elmar Brok im «Spiegel» nach Trumps Iran-Entscheidung.

Immerhin reiste nicht nur Macron, sondern auch Merkel nach Washington, um Trump mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Ohne die geringste Wirkung, wie es scheint. «Man darf sich keine Illusionen machen über Donald Trump: Dieser Mann ist irrational», grollte der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz.

Triumph durch Chaos?

Am schwierigsten ist für die Europäer vielleicht die Vorstellung, dass sie mit ihren antiquierten Werten und ihrer Ehrpusseligkeit, immer schön nach den Regeln zu spielen, am Ende womöglich begossen dastehen, während Trump mit einer Strategie der Verunsicherung Erfolge feiert. Mit Staunen sah man in Brüssel wie im Rest der Welt die Wende auf der koreanischen Halbinsel, wo sich die verfeindeten Staatenlenker aus Nord und Süd in die Arme sanken.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn meinte im «Spiegel» zwar trotzig, die Annäherung sei Ergebnis der harten UN-Sanktionen und «gerade nicht ein Erfolg von America First». Mogherini feierte einen Sieg der Diplomatie. Aber haben Trumps martialische Tweets gegen Pjöngjang nicht vielleicht doch etwas in Bewegung gesetzt?

Mit Unruhe nahm man in Brüssel auch die Zugeständnisse zur Kenntnis, mit denen Südkorea Trump nach seinen Drohungen im Handelsstreit besänftigte. Schon fragte sich mancher, ob nicht auch für die EU ein Deal das Günstigste wäre. Mit der Aufkündigung des Iran-Abkommens bekommt der Handelskonflikt nun noch mehr Umdrehungen, denn es wird darum gehen, ob die Europäer die von Trump angekündigten Sanktionen gegen Teheran ignorieren oder gar unterlaufen können. «Wir befinden uns an einem Kreuzungspunkt der Handelsdebatte», sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier im ZDF. Bieten die Europäer Trump diesmal tatsächlich offen die Stirn?

"Wir brauchen keinen Vormund"

Es ist wieder Macron, der die klarste Ansage macht. Ohne Trump je beim Namen zu nennen, redete er sich bei der Karlspreisverleihung in Rage gegen jene, «die uns drohen», jene, «die internationale Regeln für nichtig erklären». Europa müsse das Heft selbst in die Hand nehmen, forderte Macron. «Wenn wir akzeptieren, dass andere Großmächte, einschließlich den Verbündeten und Freunden unserer dunkelsten Stunden, Entscheidungen für uns treffen, über unsere Diplomatie, über unsere Sicherheit, dann sind wir nicht mehr souverän.»

Der Luxemburger Asselborn übersetzte am Freitag, was das genau heißt: «Wir brauchen doch keinen Vormund», sagte er im ZDF. «Wir als Europäer müssen zusammenstehen - nicht gegen Amerika, aber gegen die Position des amerikanischen Präsidenten.»

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