Berlin/Niamey - Angela Merkels Migrationspolitik fängt in Afrika an. Um die Problematik in Europa zu lösen, braucht die Bundeskanzlerin die Unterstützung von Mahamadou Issoufou: Nigers Präsident ist eine Schlüsselfigur der Migrationskrise. Sein Land in Westafrika ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten, die Europa erreichen wollen. Dort laufen die Fäden aus ganz Afrika zusammen. Migration ist daher auch das zentrale Thema bei dem Treffen zwischen Merkel und Issoufou am Mittwochabend.

Der Niger hat sich die Rolle als Transitland nicht ausgesucht. Doch das Land liegt direkt an der geopolitischen Grenze von Europa und Afrika. Im Norden erstrecken sich Algerien und Libyen - aus Libyen versuchen viele, die Überfahrt nach Europa zu schaffen. Im Süden und Westen liegen einige der wichtigsten Herkunftsländer von Migranten. Bürger etwa aus dem Senegal oder der Elfenbeinküste können dank der westafrikanischen Staatengemeinschaft ohne Visum bis in den Niger reisen. Hier beginnt der gefährliche Versuch, Europa zu erreichen.

Schleusen war wichtige Einkommensquelle

Etwa 333 000 Migranten verließen 2016 den Niger, die meisten davon nach Libyen, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) sagt. Dreh- und Angelpunkt war dabei meist die Wüstenstadt Agadez, das Tor zur Sahara. Nachdem Touristen wegblieben, wurde das Schleusen dort zu einer der wichtigsten Einkommensquellen. Einst identifizierte die Regierung in der Stadt mit knapp 120 000 Einwohnern fast 7000 Menschen als «im Migrationsgeschäft involviert» - Schleuser, Verbindungsmänner und Fahrer. Zehntausende lebten indirekt von der Migration: Besitzer von Unterkünften, Geldwechsler, Taxifahrer.

Doch das hat sich schlagartig geändert. Teils durch Unterstützung, teils durch Druck der EU untersagte die nigrische Regierung 2015 das Schleusen. Die Polizei ging gegen die Schleusernetzwerke vor, die Grenze mit Libyen wurde verstärkt bewacht, auch die Grenzübergänge im Süden vom Niger wurden der IOM zufolge mehr kontrolliert. Im Gegenzug sagte die EU dem Land bis 2020 eine Milliarde Euro für wirtschaftliche Entwicklung zu. Das Ergebnis: 2017 sank die Zahl der Menschen, die den Niger verließen, der IOM zufolge auf 69 000.

Gestoppt wurde das Schleusergeschäft nicht. «Es gibt weiterhin Migranten, die durchreisen, und es wird sie auch künftig geben», sagt der Bürgermeister von Agadez, Rhissa Feltou. Die Schleuser würden etwa alternative - abgelegenere - Routen nutzen, um Zentren wie Agadez zu umgehen. Oft folgen Schlepper nun den Wegen der Drogen- und Waffenschmuggler, weit entfernt von Oasen und mit erhöhter Gefahr, bewaffneten Islamisten oder Banditen zum Opfer zu fallen.

Fluchtrouten verlagern sich

Die Migrationsrouten haben sich seit Ende vergangenen Jahres signifikant nach Westen verschoben, wie der IOM-Chef im Niger, Giuseppe Loprete, erklärt. Statt von Niger nach Libyen würden nun mehr Migranten nach Algerien reisen. Diese Grenze sei für die nigrischen Behörden noch schwieriger zu kontrollieren. «Es ist auch extrem gefährlich.»

Zudem erreichen viele Migranten Algerien durch das instabile Mali. Von Algerien aus reisen etliche nicht nach Libyen sondern nach Marokko. In diesem Jahr sind nach UN-Angaben bereits mehr als 28 000 Menschen von Marokko aus nach Spanien gelangt - damit liegen die Ankünfte schon im August auf dem Niveau des gesamten Vorjahres.

Den Menschenschmuggel im Niger zu bremsen, hat aber womöglich auch gefährliche Folgen. Das Land ist das zweitärmste der Welt und hat weltweit die höchste Geburtenrate - Experten zufolge eine tickende Zeitbombe. Der Kampf gegen Migration habe zwar Erfolge erzielt, «aber Armut und all ihre Untugenden sind sichtbar», sagt Feltou. Die Wirtschaft in Agadez sei durch das Schleuserverbot schwer erschüttert worden. Zwar bietet ein im November gestartetes EU-Projekt Menschen in Agadez eine Starthilfe, um sich eine neue Einkommensquelle aufzubauen. Doch Tausende Bürger seien weiterhin arbeitslos, sagt Feltou. Viele seien Kandidaten für «den Ruf der Kräfte des Bösen».

Europäer sollen pragmatischer handeln

Damit ist sicher auch der islamistische Extremismus gemeint, der in Nigers Nachbarländern fest etabliert ist. In Mali sind mehrere mit Al-Kaida verbundene Terrorgruppen aktiv, in Nigeria treibt Boko Haram ihr Unwesen. Im Niger selbst kam es im vergangenen Jahr zu einem Angriff eines Ablegers des Islamischen Staates, bei dem vier US-Soldaten und fünf nigrische Militärangehörige getötet wurden.

Damit sich junge Menschen im Niger weder Extremisten anschließen, noch den Weg nach Europa suchen, und gleichzeitig die Migration aus Afrika im Niger gebremst wird, sind Deutschland und seine Nachbarländer stärker gefragt. Die Europäer müssten pragmatischer handeln, sagt Feltou. «Sie wollen keine Migration, also müssen sie den Mut finden, mehr Geldmittel zur Verfügung zu stellen, um den Niger direkt zu entwickeln.»

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