Vor einem Jahr suchten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen in Bratislava einen Neuanfang nach dem Schock über die Abkehr der Briten von der Europäischen Union. Die Stimmung war gereizt, es kam wenig heraus, am Ende einigte man sich lediglich auf einen «Fahrplan» und vertagte damit Reformen.

Nun treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs erneut, diesmal zu einem informellen Abendessen im estnischen Tallinn, und wieder geht es um die Zukunft der EU. Die Lage ist entspannter - die ganz große Krise scheint vorbei - und doch wächst nach einem Jahr der Debatten der Druck, in absehbarer Zeit Entscheidungen zu treffen. Das Wichtigste zum Stand der Dinge:

JUNCKER UND SEINE VISION

Die derzeit noch 28 Länder der EU haben sehr unterschiedliche Interessen und keineswegs alle sind besonders erpicht auf Reformen. Trotzdem ist den meisten klar, dass etwas passieren muss. Die Schlüsselerlebnisse: Eurokrise, Flüchtlingskrise, das Votum der Briten für den EU-Austritt und der Aufstieg der Populisten in Europa, zuletzt der Alternative für Deutschland bei der Bundestagswahl.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat versucht, die Debatte behutsam zu kanalisieren. Im März legte er ein sogenanntes Weißbuch vor mit fünf verschiedenen Szenarien, wie die EU 2025 aussehen könnte. Mitte September beschrieb er dann in seiner Rede zur Lage der Union im Straßburger Europaparlament seine persönliche Vision, das «sechste Szenario». Am meisten Aufsehen erregte sein Wunsch, möglichst schnell in allen EU-Ländern den Euro einzuführen, in der Absicht, den Kontinent als Wirtschaftsraum zu einen. Zudem sollen möglichst bald an weiteren Grenzen in Europa die Kontrollen wegfallen.

Daneben nannte Juncker eine ganze Reihe weiterer Punkte für eine gemeinsame EU-Politik bei Handel, Migration und Arbeitsmarkt. Auch will er den Posten des Kommissionspräsidenten mit dem des Ratspräsidenten verschmelzen, zumal viele Europäer bei den EU-Institutionen ohnehin nicht durchblicken: Nur noch ein Präsident für Europa, das ist Junckers symbolischer Plan. Ansonsten wären seine Veränderungen nicht allzu radikal, die EU-Verträge müssten dafür wohl nicht verändert werden

MACRONS EUROPAPLAN

Das wäre vermutlich anders bei dem Umbau der Europäischen Union, den der französische Präsident Emmanuel Macron diese Woche vorschlug: Er will tief ins Gefüge der alten EU eingreifen, die er als langsam und ineffizient beschrieb. Am weitesten gehen seine Vorschläge zur Finanz- und Währungspolitik: Macron will ein milliardenschweres Budget für die Eurozone, das sich aus gemeinsamen Steuern speisen könnte. Auch die gemeinsame Aufnahme von Schulden brachte er ins Gespräch.

Darüber hinaus will er ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Eingreiftruppe. Dann wäre da noch die Idee eines europäischen Asylamts, das Asylverfahren angleicht. Eine Innovationsagentur soll die Digitalisierung Europas vorantreiben. Das System der Stimmvergabe bei der Europawahl soll verändert werden: Schon bei der nächsten Abstimmung 2019 soll es neben der nationalen Vergabe von Sitzen auch europäische Listen geben. Und das sind nur einige seiner Ideen.

MERKELS ZURÜCKHALTUNG

Kanzlerin Merkel gilt nicht nur als die erfahrenste Regierungschefin Europas, sondern auch als einflussreichste, zumal sie das wichtigste Mitgliedsland vertritt. Doch hat sie sich mit eigenen Vorschlägen bisher zurückgehalten. Auch in Europa steht Merkel für das Mantra des Machbaren. Welche Vorschläge sie sich wann zu eigen macht, wenn sie sie für aussichtsreich hält - das wird sich wohl erst abzeichnen, wenn die neue Bundesregierung in Berlin unter Dach und Fach ist.

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