Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich feiern. Er steht vor seinem Palast in der Hauptstadt Ankara, Tausende Menschen jubeln ihm zu mit türkischen Fahnen. «Unsere Demokratie hat gesiegt», sagt er. Niemand der 85 Millionen Türken habe verloren, gibt er sich zunächst versöhnlich - und wirft der Opposition wenig später einmal mehr Verbindungen zu Terroristen vor.

Erdogan hat die Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gewonnen, und damit seine Macht nach 20 Jahren an der Spitze der Türkei noch einmal zementiert. Er erhielt nach vorläufigen Ergebnissen rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Schon in der ersten Runde zwei Wochen zuvor lag er entgegen aller Voraussagen vorn, verfehlte aber die notwendige absolute Mehrheit.

Präsidentschaftswahl in der Türkei: Ergebnis der Stichwahl vom 28. Mai nach Auswertung von 99,43 Prozent der Stimmen

Währungskrise, schlechtes Krisenmanagement nach der Erdbeben-Katastrophe im Februar und hartes Vorgehen gegen Regierungsgegner, all das konnte Erdogan am Ende nichts anhaben.

Die Opposition, die in einem Sechser-Bündnis angetreten war, beklagte einen unfairen Wahlkampf. Sie hatte gehofft, das Land nach einem Wahlsieg wieder demokratisieren zu können. Ihre Anhänger sind am Boden zerstört. Kilicdaroglu ist der Ansicht, die Wahl zeige trotz Erdogans Sieg, dass das Volk den «Wechsel einer autoritären Regierung» wolle.

Beobachter befürchten, dass Erdogan in Zukunft noch autoritärer regiert, nachdem er seine Macht erneut legitimiert hat. Europa und die USA müssen sich nun weiter auf Verhandlungen mit einem schwierigen Nato-Partner einstellen. Seine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg wird Erdogan wohl beibehalten.

10. Jahrestag der Gezi-Proteste

Seinen Wahlerfolg hat Erdogan auch der Unterstützung einer islamistisch-nationalistischen Allianz zu verdanken. Das könnte in Zukunft seine Politik weiter prägen. «Erdogan hat den Charakter des Staates geändert. Er hat es geschafft, den türkischen Staat von einem laizistisch-nationalistischen in einen islamistisch-nationalistischen zu wandeln. Und das wird er weiter vorantreiben», sagt Asli Hürcan Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS).

Nach Erdogans Sieg zelebrierten Innenminister Süleyman Soylu und Tausende Anhänger ihr Morgengebet in die Hagia Sophia in Istanbul. 2020 hatte Erdogan die einstige Kirche trotz internationalem Protest von einem Museum in eine Moschee umwandeln lassen - ein Geschenk an seine religiöse Klientel.

Ebenfalls symbolisch und ein Triumph für Erdogan: Sein Sieg fiel genau auf den 10. Jahrestag der regierungskritischen Gezi-Proteste. Im Frühjahr 2013 hatten sich landesweit vor allem junge Menschen gegen Erdogans immer repressivere Politik aufgelehnt. Erdogan, damals noch Ministerpräsident, ließ die Proteste niederschlagen.

Frauenfeindliche Bündnispartner und schwierige Wirtschaftslage

Die Niederlage ist umso bitterer für die Opposition. Sie schaut mit Entsetzen auf Erdogans Partner. Mit der islamistisch-kurdischen Hüda Par und der islamistischen Yeniden Refah hat Erdogan zwei Parteien ins Parlament geholt, die LGBT-und frauenfeindliche Politik machen. Die Hüda Par etwa will den Schutz der «traditionellen» Familie vor «abweichenden» Ideologien durchsetzen und Mädchen und Jungen getrennt unterrichten.

Die größte Herausforderung für Erdogan nach der Wahl wird die Wirtschaft sein. Die massive Inflation von rund 44 Prozent ist Experten zufolge auch hausgemacht, weil Erdogan entgegen gängiger wirtschaftlicher Logik an seiner Niedrigzinspolitik festhält.

Erdogan hat es dennoch geschafft, seine Anhänger davon zu überzeugen, dass er keine Schuld an der wirtschaftlichen Lage trägt. Die Wirtschaftsprofessorin Selva Demiralp schrieb in einem Beitrag, wenn Erdogan nicht zur konventionellen Wirtschaftspolitik zurückkehre, werde es sehr schwierig, den schon angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Die Türkei erwarteten «sehr kritische Tage».

"Ungerechtfertigte Vorteile" bei den Wahlen

Teil der Erfolgsgeschichte Erdogans sind auch die ungleichen Ausgangsbedingungen bei Wahlen. Der Wahlkampf, so attestierten es internationale Wahlbeobachter, war von Anfang an unfair. Erdogan habe «ungerechtfertigte Vorteile» gehabt, kritisierten sie. Der Großteil der Medien wird von Erdogan kontrolliert, die Opposition kam kaum vor - und wenn, dann meist negativ.

Erdogan verteilte auch großzügig aus der Staatskasse bezahlte Wahlgeschenke. Und er zeigte manipulierte Videos. Er beschimpfte die Opposition als Terroristen, sein Innenminister wiederum übte Druck auf unabhängige Wahlbeobachter aus. Bei der Abstimmung wurden mehrere von ihnen angegriffen.

Die Sechser-Allianz um Kilicdaroglu wiederum hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdogan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik. Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kilicdaroglu eine Antiflüchtlingsrhetorik. Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an und vor allem nicht bei den kurdischen Wählern. Obwohl die prokurdische HDP noch mal zur Unterstützung Kilicdaroglus aufrief, lag die Wahlbeteiligung im kurdisch geprägten Südosten unter der von der ersten Runde.

Schwierige Situation für Minderheiten

Mit einer Lockerung von Repressalien oder gar mit einem Bemühen um eine Lösung im Kurdenkonflikt darf die Minderheit wohl nicht rechnen. Zudem ist auch das Parlament, in dem Erdogans Allianz eine Mehrheit hält, das nationalistischste in der Geschichte der Türkei. Erdogan machte bei seiner Siegesrede deutlich, der seit 2016 inhaftierte ehemalige HDP-Chef Selahattin Demirtas komme nicht aus dem Gefängnis «solange wir an der Macht sind» - obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dessen Freilassung angeordnet hatte.

Zumindest die rund 3,4 Millionen Syrer im Land dürften nach Erdogans Sieg erstmal aufatmen. Zwar hat auch Erdogan, wie die Opposition, angekündigt, Flüchtlinge wieder nach Nordsyrien zurückzuschicken, mit größeren Umsiedlungen rechnen Beobachter jedoch nicht. Erdogan wisse genau, dass mittelständische türkische Unternehmer im südosttürkischen Gaziantep und Sanliurfa syrische Flüchtlinge als Arbeitskraft bräuchten, sagt Expertin Aksoy. «Diese Unternehmen sind das Rückgrat seines klientelbasierten Systems.»

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