Wien - Eigentlich könnte die EU stolz auf sich und die Operation Sophia sein. Fast 50 000 Menschen haben die Besatzungen deutscher und anderer europäischer Marineschiffe in den vergangenen drei Jahren vor der libyschen Küste aus Seenot gerettet. Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen Menschen, die als Migranten über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa kommen, zuletzt drastisch zurückgegangen. Wurden im Hauptankunftsland Italien 2016 noch rund 180 000 Neuankömmlinge gezählt, waren es 2017 nur noch rund 120 000. In diesem Jahr schafften es bislang nicht einmal 20 000 Migranten.

Der zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität gestartete Marineeinsatz funktioniere gut, lobte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Donnerstag bei einem EU-Treffen in der österreichischen Hauptstadt Wien. Jeder sei dafür, sie fortzusetzen sagte wenig später auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Rom droht Schiffe künftig nicht mehr in Häfen zu lassen

Alles gut also? Zur Verärgerung der Verteidigungsminister nicht. Der neuen Regierung in Rom ist es ein Dorn im Auge, dass am Rande der Operation gerettete Migranten laut den 2015 vereinbarten Einsatzregeln ausschließlich nach Italien gebracht werden. Um eine Änderung zu erzwingen, droht sie sogar damit, Sophia-Schiffe mit Migranten künftig nicht mehr in italienische Häfen zu lassen. Italien will, dass die Migranten per Rotationsprinzip auch in andere Häfen gebracht werden.

Zugleich üben Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingshelfer verstärkt Kritik an der Operation. Sie halten es für verantwortungslos, dass Seenotrettungseinsätze seit einiger Zeit fast ausschließlich an die libysche Küstenwache delegiert werden, die die Migranten dann nicht nach Europa, sondern zurück ans libysche Festland bringt.

Folter und Tod in den libyschen Lagern

So bestätigte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR, dass jüngst in Italien angekommene Menschen zuvor etwa ein Jahr in einem unterirdischen Lager in Libyen gefangen gehalten wurden. Dort seien auch 16 Kinder geboren worden, die aber alle nach ein paar Monaten gestorben seien.

«Die Frauen haben etwas hinter sich, das keiner Frau passieren darf», sagte eine Sprecherin. Sowohl die Frauen als auch die Männer seien gefoltert worden, um mehr Geld von ihren Familien zu erpressen.

Wegen der EU-Politik sehen es Kritiker auch als zynisch an, dass der Mittelmeer-Einsatz nach einem somalischen Mädchen benannt ist, das am 24. August 2015 an Bord der deutschen Fregatte «Schleswig-Holstein» zur Welt kam.

Libyschen Schleuserbanden Geschäftsgrundlage entziehen

In Brüssel nimmt man diese Kritik ernst. Zugleich wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Einbindung der libyschen Küstenwache derzeit die einzige Möglichkeit sei, libyschen Schleuserbanden die Geschäftsgrundlage zu nehmen, um damit auch das Leid und die Zahl tödlicher Bootsunglücke zu reduzieren. Dies liegt daran, dass ein Einsatz von EU-Soldaten in den libyschen Küstengewässern oder sogar an Land nicht erlaubt ist.

Wie es weitergeht, wenn die Regierung in Rom in den nächsten Wochen wirklich verbieten sollte, dass Sophia-Schiffe mit aus Seenot geretteten Migranten in italienische Häfen einlaufen, ist derzeit unklar.

Die EU-Außenbeauftragte Mogherini und auch Bundesverteidigungsministerin von der Leyen machten am Donnerstag deutlich, dass sie Italiens Forderung nach einer fairen Verteilung von aus Seenot geretteten Migranten für gerechtfertigt halten. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass der Streit darüber von den Innenministern oder Staats- und Regierungschefs gelöst werden könne - und dass sich Italien zumindest bis zum Auslaufen des Mandats Ende des Jahres an die gemeinsam vereinbarten Einsatzregeln halten müsse.

Appell an das Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten

Zum Showdown könnte es damit am 20. September kommen, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Kollegen zu einem Treffen in Salzburg zusammenkommen. Bislang haben Gegner einer geordneten Verteilung von Migranten keinerlei Kompromissbereitschaft signalisiert. Zu ihnen gehören vor allem mitteleuropäische Länder wie Ungarn und Polen.

Die EU-Außenbeauftragte Mogherini appellierte in Wien an alle Beteiligten, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen. Sollte die Operation Sophia gestoppt werden müssen, weil beteiligte Schiffe nach einer Seenotrettungsaktion nicht mehr in einen nahe gelegenen Häfen fahren können, würde das schwerwiegende Konsequenzen haben, warnte sie. So könnten unter anderem die um 80 Prozent gesunkenen Migrantenzahlen wieder steigen.

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