Luxemburg/Warschau - Die Zwangspensionierung von obersten Richtern Polens hat vor dem höchsten EU-Gericht wechselseitige Mahnungen und Warnungen von EU-Kommission und polnischer Regierung ausgelöst. Bei einer mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg sorgte vor allem Polens Anwalt Boguslaw Majczyna am Freitag für erstaunte Nachfragen des Gerichtspräsidenten Koen Lenaerts. Majczyna hatte gewarnt, falls der EuGH der Klage der EU-Kommission gegen die Zwangspensionierungen folge, sei die Umsetzung eines solchen Urteils in Polen «nicht so einfach, wie es zu sein scheint».

Polen forderte die Aufhebung einer Eil-Anordnung vom 19. Oktober, wonach bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Richter-Pensionierungen die bereits in den Ruhestand geschickten obersten Richter wieder in den Dienst zurückzuholen seien. Am Freitag ging es um die Frage, ob nach der Eil-Entscheidung auch sozusagen dauerhaft bis zu einem späteren Urteil eine Einstweilige Anordnung erlassen werden müsse.

Denn die Kommission hat wegen des Richter-Ruhestandes auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet: Sie sieht in der Zwangspensionierung eine Einschränkung der Unabhängigkeit der obersten polnischen Richter. Ein Urteil darüber steht aber frühestens in sieben bis neun Monaten an.

"Das Risiko eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens"

Müssten die 20 betroffenen polnischen Richter bis zu diesem Urteil des EuGH in der Hauptsache zu Hause bleiben, so bestehe «das Risiko eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens», argumentierte Saulius Kaleda, Rechtsvertreter der EU-Kommission. Außerdem gebe es bereits Anzeichen dafür, dass andere EU-Staaten das Vertrauen in die Unabhängigkeit der polnischen Justiz verlören und sich weigern könnten, beispielsweise polnische Haftbefehle zu vollstrecken: «Dies ist eine wirkliche Gefahr.»

Nur zähneknirschend fügte sich die nationalkonservative PiS-Regierung Polens der Eil-Anordnung aus Luxemburg. Laut Staatspräsident Andrzej Duda müsse die Regierung vorübergehend einlenken. «Ansonsten könnten drakonische Geldstrafen drohen», sagte er dem Sender «Radio Maryja».

Aber Polen hält das Gesetz, mit dem das Renteneintrittsalter oberster Richter von 70 auf 65 Jahre gesenkt wurde, für völlig richtig. Das machte auch Anwalt Majczyna klar. An ihn richteten sich die meisten Nachfragen der 14 EU-Richter, die sich im größten Sitzungssaal des Gerichtshofes rechts und links von Präsident Lenaerts platziert hatten.

Die Anordnung sorge für Rechtsunsicherheit in Polen

Majczyna argumentierte, es fehle an der Dringlichkeit, die für eine einstweilige Anordnung erforderlich sei. Niemand habe bewiesen, dass ein «nicht wieder gutzumachender Schaden» drohe. Auch würden die Stellen ausscheidender Richter ja gar nicht neu besetzt. Offene Stellen würden vielmehr in einen Pool gegeben und dann neu besetzt, sie seien dann «nicht mehr namentlich bestimmten Personen zugeordnet». Aber Präsident Andrzej Duda habe nach der Erhöhung der Richterzahl von 90 auf 120 angesichts des EU-Verfahrens die Neubesetzung von Stellen erst einmal gestoppt. Die einstweilige Anordnung sorge für Rechtsunsicherheit in Polen.

Hellwach wurden die höchsten EU-Richter, als Majczyna darlegte, falls der EuGH die Zwangspensionierungen für unrechtmäßig erklärte, werde die Umsetzung eines solchen Urteils in Polen schwierig. Denn es gebe dann für Richterernennungen keine gesetzliche Grundlage mehr. Was das bedeuten solle, fragte der bulgarische Richter Alexander Arabadjiev mit besorgter Stimme. Majczyna sagte, die vorherige Reglung könne nicht wieder in Kraft treten, weil es sie ja nicht mehr gebe. Der polnische Gesetzgeber müsse dann ein neue Gesetz beschließen. Und das sei natürlich schwierig.

"Die EU-Behörden werden auf die Probe gestellt"

Der belgische EuGH-Präsident Lenaerts griff ein und sagte in bestimmendem Tonfall, wenn sein Gericht das polnische Gesetz aussetze, dann trete wieder der frühere Zustand ein. «Ich glaube, dass wir hier aneinander vorbeireden», fuhr er fort und betonte, er spreche ja nur mal «rein hypothetisch»: «Das wäre dann keine Frage des polnischen Rechts, sondern eine Auswirkung des (EuGH)-Gerichtsurteils.» Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, mahnte er Majczyna: «Wenn es hier zu einem Beschluss kommt, der einen Mitgliedsstaat verpflichtet, Dinge zu tun, dann muss der nach Treu und Glauben handeln und alles tun, um den Beschluss umzusetzen und nicht Hindernisse in den Weg zu stellen.»

Als die Verhandlung vorbei war, gaben sich beide Seiten zuversichtlich. «Ich bin optimistisch, aber man wird ja sehen», sagte Majczyna beim Verlassen des Gerichtssaals. Ein anderer Pole, Michal Laskowski, sieht in der EuGH-Anordnung vielmehr eine Chance für das vorschriftsmäßige Funktionieren des Gerichts: «Die EU-Behörden werden auf die Probe gestellt, sagte er. Er ist Sprecher am obersten Gericht in Warschau.

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