London - Die Verhandlungen zum geplanten EU-Austritt Großbritanniens stecken wieder einmal fest. Dabei sind laut EU-Chefunterhändler Michel Barnier bereits bis zu 85 Prozent des Brexit-Abkommens unter Dach und Fach. Noch in der vergangenen Woche hatte es ausgesehen, als könnte es einen Durchbruch geben. Doch am Sonntag platzte eine geplante Einigung an Differenzen zur Irland-Frage.

Die Hoffnungen, dass beim bevorstehenden EU-Gipfel ein Abkommen präsentiert werden kann, sind weitgehend verflogen. Auch ein geplanter Sondergipfel im November steht auf der Kippe. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte, ein Brexit ohne Abkommen sei «wahrscheinlicher denn je». Warum ist das Irland-Problem so schwer zu lösen?

Was in Nordirland auf dem Spiel steht

Die Gesellschaft in Nordirland leidet 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs mit mehr als 3600 Toten und 50 000 Verletzten noch immer unter einer starken konfessionellen Spaltung. Auf der einen Seite stehen Protestanten, die sich als Briten verstehen, auf der anderen Seite Katholiken, die sich als Iren fühlen und teilweise die Autorität des britischen Staats sogar offen ablehnen.

Gewalt ist noch immer an der Tagesordnung, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß eines Bürgerkriegs. Es gibt aber noch immer bewaffnete paramilitärische Gruppen auf beiden Seiten. Die Befürchtung ist, dass der fragile Frieden bedroht sein könnte, wenn zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland die Schlagbäume heruntergehen. In der Zeit des Bürgerkriegs von 1968 bis 1998 war die Grenze teils schwer militärisch bewacht und bevorzugtes Ziel von Anschlägen. Eine offene Grenze ist zentraler Bestandteil des Friedensabkommens von 1998.

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Warum macht der Brexit Kontrollen notwendig?

London will mit dem EU-Austritt am 29. März 2019 gleichzeitig auch die Europäische Zollunion und den Binnenmarkt verlassen. Die Mitglieder einer Zollunion vereinbaren gemeinsame Außenzölle. Kontrollen an den Binnengrenzen sind daher überflüssig. London will sich davon aber lossagen, um eigene Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA und China zu schließen.

Der Binnenmarkt sorgt dafür, dass keine rechtlichen Hürden und abweichende Produktstandards die Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Geld und Dienstleistungen innerhalb der EU einschränken. Das bringt Einwanderer ins Land und erfordert eine übergeordnete Instanz für die Rechtssprechung - auch das will London abschütteln.

Brüssel fürchtet, dass Irland zum Einfallstor für billige und minderwertige Waren in die EU wird, wenn Großbritannien seine Zölle und Produktstandards nach dem Brexit senkt. Schon jetzt hat die EU Großbritannien auf 2,7 Milliarden Euro verklagt, weil die Regierung in London jahrelang Zollbetrug für Kleidung aus China geduldet haben soll.

Wie will London das Problem lösen?

Die Regierung von Theresa May hat eine komplizierte Lösung vorgeschlagen, die als Chequers-Deal bekannt geworden ist. Sie sieht vor, dass sich ganz Großbritannien weiter für Waren und Lebensmittel an den Standards des Binnenmarkts orientiert. Für Dienstleistungen, Arbeitskräfte und Kapital soll das aber nicht gelten. Die EU lehnt das als Rosinenpicken ab.

In Sachen Zölle wird es noch komplizierter. May will an den Außengrenzen Großbritanniens zwei verschiedene Zollsätze erheben, einen für Waren, die für Großbritannien bestimmt sind, einen weiteren für Güter, die in die EU gehen, damit die Grenze offen bleiben kann. Funktioniert nicht, sagt die EU.

Auch in Großbritannien ist der Chequers-Deal heftig umstritten. Im Streit darüber traten im Juli der damalige Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson zurück. May lässt dennoch nicht von ihren Plänen ab. Zunächst hofft sie, dass sich London mit einem Austrittsdeal erst einmal in eine knapp zweijährige Übergangsphase retten kann, um dann die künftigen Beziehungen mit der EU zu klären.

Was ist der Vorschlag aus Brüssel?

Die EU macht für das Austrittsabkommen und die Übergangsphase eine verbindlich festgeschriebene Garantie zur Bedingung, dass keine Kontrollen zwischen Nordirland und Irland notwendig sein werden: den sogenannten Backstop. Dazu hatte sich auch London in einer gemeinsamen Erklärung Ende vergangenen Jahres bekannt. Umstritten ist aber, wie genau dieser Backstop aussehen soll. Brüssel interpretiert ihn so, dass Nordirland quasi in der Zollunion und im Binnenmarkt bleibt. Das würde aber bedeuten, es müssten Kontrollen im Warenverkehr zwischen Nordirland und Großbritannien stattfinden. Das lehnt London als Angriff auf die Souveränität des Landes ab. Eine «Grenze in der Irischen See» sei völlig inakzeptabel, machte May mehrfach deutlich.

Der Regierungschefin sind die Hände gebunden: Seit einer vorgezogenen Neuwahl im vergangenen Jahr ist sie von den Stimmen der nordirischen Protestanten-Partei DUP abhängig. Deren «Selbstverständnis und Daseinsberechtigung» ist in den Worten des Politikwissenschaftlers Nicolai von Ondarza aber die Bindung an Großbritannien. DUP-Abgeordnete drohen, der Minderheitsregierung von May die Unterstützung zu entziehen, sollte Nordirland einen Sonderstatus erhalten. Sie wollen keine Handbreit nachgeben.

Was könnte der Ausweg sein?

Der Kompromiss, der sich abzeichnet, ist dass Großbritannien als Ganzes notfalls in der Zollunion bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden wird. Dann wäre ein großer Teil der Grenzkontrollen unnötig. Das trifft aber auf den Widerstand der Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei. Sie fürchten, dass der Backstop zur Dauerlösung werden könnte und wollen May zwingen eine Enddatum zu vereinbaren. Für Brüssel hingegen kommt das nur infrage, wenn nach dem Ablauf der Frist die andere Lösung greift.

 

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