Erfurt - Rund 61,5 Millionen Menschen können am Sonntag, 24. September, über einen neuen Bundestag abstimmen - allerdings nur wer mindestens 18 Jahre alt ist. Seit mehr als 20 Jahren geben zwei bundesweite Projekte auch Kindern und Jugendlichen eine Stimme - inklusive Urnengang: die U18- und die Juniorwahl.

In beiden Fällen geht es um die politische Bildung junger Menschen. Aber ist das überhaupt nötig? Sind Heranwachsende in Deutschland tatsächlich so unpolitisch wie oft behauptet wird? Oder sollte das Wahlalter vielmehr auf 16 herabgesetzt werden, wie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz jüngst im TV-Duell forderte?

Unpolitisch sind Henriette Reinsch (15), Benedikt Bathe (16) und Timo Reidenbach (16) sicher nicht. Die Gymnasiasten an der Edith-Stein-Schule in Erfurt organisierten mit ihrem Sozialkunde-Kurs die U18-Wahl an ihrer Schule.

«Ich denke, dass Demokratie vom Mitmachen und Einmischen lebt.»

Über den Vorschlag ihres Lehrers Konrad Burckhardt (36), ob ihr Kurs die Wahl für die mehr als 800 Mitschüler organisieren wolle, mussten die drei nicht lange nachdenken. Am 15. September, neun Tage vor der echten Wahl, gaben bundesweit mehr als 200 000 Kinder und Jugendliche ihre Stimme ab. Die Juniorwahl, eine Initiative an Schulen, läuft bereits. Projektleiter Gerald Wolff geht von einer Million Schüler aus, die bis zum 24. September abstimmen werden.

Überrascht waren die Schüler an der Edith-Stein-Schule bei den Vorbereitungen auf die U18-Wahl allerdings doch. Stimmzettel, Wahlkabinen, Urnen, Wahlhelfer - «ich hätte nicht gedacht, dass der Aufwand so groß ist, selbst bei unserer sehr kleinen Wahl», sagt Henriette Reinsch.

«Wenn ich Politik im Unterricht mache, ist das eine ziemlich trockene Materie», sagt Sozialkunde-Lehrer Burckhardt. Dabei sei das Ausprobieren demokratischer Grundlagen enorm wichtig. Deshalb schätzt er die U18-Wahl, die vom Familienministerium und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird. «Ich denke, dass Demokratie vom Mitmachen und Einmischen lebt.» Auch Gerald Wolff, Leiter der Juniorwahl sagt: «Die Möglichkeit, die wir in unserer Demokratie haben, ist was Großartiges. Dafür gilt es, ein Bewusstsein zu schaffen.»

U18-Wahl und Juniorwahl sollen Interesse an Politik wecken

Für Michael May, Professor für Didaktik der Politik an der Universität Jena, fördern solche Initiativen die Auseinandersetzung mit Parteienpositionen und führen zu einer begründeten Wahlentscheidung. Außerdem würden Jugendliche damit das Wahlsystem kennenlernen. «Auch dies baut Hürden ab, die die Jugendlichen bei erreichter Volljährigkeit vom Gang zur Wahlurne abhalten könnten.»

Zwar könne man nicht von einer dramatischen Politikverdrossenheit reden, sagt May. Doch Projekte wie U18 oder Juniorwahl seien wichtig. «Grundsätzlich braucht es solche Bildungsanlässe.» Insbesondere die etablierten Formen der politischen Teilhabe seien für Jugendliche heute wenig attraktiv. Die Wahlbereitschaft unter jungen Menschen sei zwar hoch - letztlich machten jedoch verhältnismäßig wenige junge Menschen ihr Kreuz auf dem Wahlzettel.

Bei der Bundestagswahl 2013 war die Wahlbeteiligung unter den 21- bis 25-Jährigen mit 60,3 Prozent sogar am niedrigsten. Auch bei den 25- bis 30-Jährigen (62,4 Prozent) und den Unter-21-Jährigen (64,2 Prozent) lag sie deutlich unterm Durchschnitt von 71,5 Prozent. Ergibt es dann überhaupt Sinn, schon mit 16 wählen zu dürfen? «Aus der Perspektive politischer Bildung spricht vieles für eine Herabsetzung des Wahlalters», sagt May. «Jugendlichen wird signalisiert, dass sie ernst genommen werden und ihre Meinung gehört wird.» Dafür müsse aber in Schulen kontinuierlich politische Bildung betrieben werden, etwa durch zwei Stunden Sozialkunde wöchentlich ab der siebten Klasse.

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Schüler und Lehrer der Edith-Stein-Schule sprechen am 06.09.2017 in Erfurt (Thüringen) über die U18-Bundestagswahl.  Foto: Martin Schutt/dpa

Mehr als 215 000 Kinder und Jugendliche nahmen an Testwahl teil

Mehr als 215 000 Kinder und Jugendliche haben bundesweit an der Testwahl teilgenommen. In ganz Deutschland wurden dazu 1666 Wahllokale eingerichtet. Alle Jugendlichen, die noch keine 18 Jahre alt sind, durften dabei mitmachen, egal welche Staatsbürgerschaft sie haben.

Die CDU und CSU wurden laut einem Zwischenergebnis sowohl bundesweit mit 28,39 Prozent als auch in Bayern mit 31,83 Prozent Wahlsieger bei den unter 18-Jährigen. In Bayern steht nächste Woche zwar nur die CSU zur Wahl, bei der U-18-Wahl konnte allerdings nur für die gesamte Bundestagsfraktion aus CDU und CSU das Kreuz gemacht werden. Mit lediglich 15,78 Prozent der Stimmen findet sich die SPD im Freistaat auf Rang 3 hinter den Grünen mit 16,97 Prozent.

Wenn es nach dem bayerischen Wählernachwuchs geht, zögen sowohl die Linke (5,46) und die FDP (5,29) als auch die Tierschutzpartei (5,30) in den Bundestag ein. Auch der AfD gelänge mit knapp 6 Prozent der Einzug. Die sonstigen Parteien erhielten 11,9 Prozent der Stimmen.

 

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