Die Ereignisse bei der Seenotrettung für Flüchtlinge überschlagen sich. Italien stimmt einem Militäreinsatz vor der libyschen Küste zu, um Schlepper zu bekämpfen. Ein Schiff der deutschen Hilfsorganisation Jugend Rettet wird festgesetzt. Die Staatsanwaltschaft in Sizilien ermittelt wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung. Was die Ereignisse für die Rettung von Tausenden Flüchtlingen auf dem Meer bedeuten:

Warum wurde das Rettungsschiff «Iuventa» beschlagnahmt?

Gegen die Hilfsorganisation Jugend Rettet wird bereits seit Oktober 2016 wegen des Verdachts der Begünstigung illegaler Migration ermittelt - wenige Monate nach der ersten Rettungsmission der jungen Hilfsorganisation. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Organisation mehrfach Migranten mit an Bord genommen hat, die nicht in Seenot waren und noch dazu in Begleitung von libyschen Schleppern.

Wie wollen die Ermittler das belegen?

Im Juni 2017 sammelt laut «La Repubblica» ein verdeckter Ermittler von Bord des Rettungsschiffs von einer anderen NGO, Save the Children, Beweise. Er macht Fotos, die zeigen, wie einer der Retter ein Holzboot zurück in libysche Gewässer zieht - offenbar, damit es von Schleppern wieder benutzt werden kann. Eigentlich zerstören die NGOs die Boote, um das zu vermeiden. Er dokumentiert auch die «Übergabe» von Migranten auf einem Schlauchboot an die Retter. «Es handelt sich also nicht um gerettete Migranten, sondern um übergebene», sagte Staatsanwalt Ambrogio Cartosio.

Hat das Durchgreifen der Justiz etwas mit dem Verhaltenskodex für private Seenotretter zu tun, den Jugend Rettet und andere Organisationen nicht unterzeichnet haben?

Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft nicht. Das belegt auch der Zeitpunkt der Ermittlungen, die schon lange vor der Debatte um den Kodex aufgenommen wurden. Die Vorwürfe gegen private Seenotretter sind außerdem nicht neu - und Kritiker fühlen sich nun bestätigt. «Was bereits seit Monaten vermutet wurde, scheint nun zur Gewissheit zu werden», sagte AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel. «Diese Boote fungieren als Wassertaxis.»

Was steckt hinter dem Verhaltenskodex?

Die Regierung in Rom versucht mit allen Mitteln, die Einwanderung einzudämmen. In diesem Jahr kamen bereits über 95 000 Migranten in das Land. Da Rom sich von der EU im Stich gelassen fühlt, nimmt die Regierung das Heft zunehmend selbst in die Hand. Die Idee neuer Regeln für die Seenotretter hatten die EU-Innenminister Anfang Juli unterstützt. Die Vermutungen von Kritikern gehen soweit, dass der Kodex die Organisationen aus der Seenotrettung ausschließen soll, damit weniger Migranten nach Italien kommen. «Heute zeichnet sich ein Krieg gegen die Retter statt gegen die Menschenschlepper ab», sagte die ehemalige Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, die wegen ihres Engagements für Migranten mehrfach ausgezeichnet wurde.

Wer hat den Kodex unterschrieben?

Zunächst waren es Save the Children, Proactiva Open Arms und MOAS, am Donnerstag zog auch die deutsche Sea-Eye nach. Die restlichen der acht Organisationen, mit dem das Innenministerium verhandelt hat, nicht. Darunter ist auch Ärzte ohne Grenzen, eine der wichtigsten Hilfsorganisationen. Nach ihrer Einschätzung könnten die Regeln im schlimmsten Fall dazu führen, dass mehr Menschen ertrinken. Außerdem ist für die Organisation unvorstellbar, bewaffnete Polizisten an Bord zu lassen. Waffen können nach Einschätzung der NGOs nicht nur für Verunsicherung unter den traumatisierten Geretteten, sondern auch für Spannungen an Bord sorgen. Immerhin befinden sich dort manchmal 1000 Menschen auf engstem Raum.

Und was passiert mit denen, die nicht unterzeichnet haben?

Das ist nicht ganz klar. Italiens Innenminister Marco Minniti ließ - obwohl es völkerrechtliche Bedenken gibt - durchblicken, dass es schwer vorstellbar sei, dass die, die nicht unterschrieben haben, weiter an Rettungseinsätzen teilnehmen. In Italien erwartet man auch, dass die Regierungen der jeweiligen Länder, aus denen die NGOs kommen, dafür sorgen, dass diese den Kodex unterzeichnen.

Wie sieht es in der Realität aus?

Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée - zwei NGOs, die den Kodex nicht unterschrieben haben - sind diese Woche mehrmals von der Seenotrettungsleitstelle in Rom zu Einsätzen gerufen worden. In der Praxis scheint zu zählen: Je mehr Schiffe im Mittelmeer kreuzen, desto besser - denn desto schneller kann die Küstenwache Schiffe zu einem Boot in Seenot schicken. NGOs übernahmen in den vergangenen Monaten immerhin 35 Prozent aller Rettungen. Es sei wichtig, die «wertvolle Funktion» der NGOs anzuerkennen, sagte Federico Fossi des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen.

Könnten durch den Einsatz der italienischen Marine vor Libyen nun ohnehin weniger Boote kommen, die gerettet werden müssen?

Ja. Die Italiener sollen die libysche Küstenwache nicht nur dabei unterstützen, Schleppern das Handwerk zu legen. Sie sollen mit ihrer Überwachungstechnik der Küstenwache auch helfen, Boote mit Migranten aufzuspüren, damit diese nach Libyen zurückgebracht werden können.

Warum ist der Einsatz umstritten?

Menschenrechtler befürchten, dass die von der libyschen Küstenwache aufgegabelten Migranten in dem Bürgerkriegsland in Lager gesteckt werden, wo sie misshandelt werden.

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