In Dresden wird die Messe als Notunterkunft vorbereitet, Leipzig plant Zeltstädte, auch Berlin hat nur noch wenige Plätze: Die Unterbringung von Geflüchteten bringt im Moment viele Städte ans Limit. «Die Lage ist in der Tat herausfordernd», sagte der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung, nach einem Flüchtlingsgipfel bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Dort machte Faeser den Ländern und Kommunen zunächst zwei konkrete Zusagen: Sie will weitere 56 Immobilien des Bundes mit 4000 dauerhaften Plätzen als Unterkünfte zur Verfügung stellen. Und sie will daran arbeiten, dass weniger zusätzliche Menschen kommen. Frisches Geld versprach Faeser hingegen noch nicht, sondern vertröstete auf eine Runde bei Bundeskanzler Olaf Scholz im November.

Wo die geflüchteten Menschen herkommen

Faeser wollte nicht auf die Frage antworten, ob die Lage schon so zugespitzt sei wie in den Flüchtlingsjahren 2015 und 2016. Die Zahlen sind ähnlich hoch, doch ist auch einiges anders. Der allergrößte Teil der dieses Jahr nach Deutschland geflüchteten Menschen kommt aus der Ukraine. Nach offiziellen Angaben wurden im sogenannten Ausländerzentralregister bis zum 8. Oktober genau 1 002 668 Personen erfasst, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriff vom 24. Februar aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind. Rund ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Mehr als 70 Prozent der Erwachsenen sind Frauen.

Hinzu kamen nach Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bis Ende September 134 908 Menschen aus anderen Ländern, die erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben. Das ist rund ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum.

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Schutzsuchende in Deutschland 

In diesem Jahr suchten also bisher zusammen schon gut 1,1 Millionen Menschen Schutz in Deutschland. Zum Vergleich: 2015 wurden hier 441 899 Erstanträge auf Asyl registriert, 2016 waren es 722 370.

Allerdings ist unklar ist, wie viele Menschen aus der Ukraine die Bundesrepublik schon wieder verlassen haben. Migrationsforscher verweisen darauf, dass zeitweise mehr Ukrainerinnen und Ukrainer aus der Europäischen Union zurück in ihre Heimat gingen als umgekehrt. Die Besonderheit bei den Geflüchteten aus der Ukraine ist zudem: Sie bekamen hier sofort Aufenthaltsrecht und Arbeitserlaubnis, sie mussten nicht in Sammelunterkünfte und nicht in Asylverfahren.

Was die Zahlen für Deutschland bedeuten

«Klar ist, wir haben es mit einem erheblichen Stresstest für unsere Gesellschaft zu tun», sagt Fluchtexperte Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Die Zahlen könnten aus seiner Sicht im Winter noch steigen, wenn der Krieg in der Ukraine eskaliert oder dort noch mehr Wohnungen zerstört werden. Genaue Prognosen seien nicht möglich, sagte Faeser. Doch auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet bei einer Eskalation des Ukraine-Kriegs mit neuen Vertriebenen. Zum Teil könnten sie aber mit internationaler Unterstützung in Regionen der Ukraine untergebracht werden, die weniger vom Krieg betroffen sind.

Darauf setzt auch Faeser. Denn aus Sicht der Innenministerin ist die Unterbringung der Geflüchteten in Deutschland ein «humanitärer Kraftakt», der immer schwerer zu bewältigen sei, je länger der Krieg dauere. In Berlin zum Beispiel sind nach Angaben von Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) aktuell nur 200 Aufnahmeplätze frei. Dabei seien in den vergangenen Monaten rund 6000 neue Plätze geschaffen worden, die Gesamtzahl sei mit 27 700 so hoch wie nie. «Die Situation ist enorm schwierig», sagt Kipping.

In Leipzig sollen demnächst zwei Zeltstädte für knapp 440 Menschen entstehen. «Aber Weihnachten ist Schluss», sagt Stadtsprecher Matthias Hasberg. «Dann reden wir nicht mehr über Zelte, sondern über Turn- und Messehallen.» Das gilt für viele Kommunen, auch im Westen.

Es kommen mehr Menschen über die Balkanroute

Kopfzerbrechen macht den Behörden, dass zusätzlich zu den Ukraine-Flüchtlingen mehr Menschen aus anderen Krisenregionen über die sogenannte Balkanroute kommen. Sachsen gilt als ein Hotspot. Hier kommen Menschen über die Grenzen zu Tschechien und Polen an. Die Dresdner Bundespolizei-Inspektion registrierte im Juli gut 500 ankommende Migranten, im August 1200, im September dann schon etwa 2400. Bei unerlaubten Einreisen werden vor allem junge Männer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan aufgegriffen. Auch Brandenburg meldet einen starken Anstieg illegaler Schleusungen.

Es kämen mehr Menschen über das Mittelmeer und die Balkanroute, und es gebe eine höhere Zahl von illegalen Einreisen und von Asylanträgen, sagte Faeser. «Deshalb müssen wir auch klar für eine Begrenzung sorgen.» So sollen Grenzkontrollen zu Österreich nochmals um ein halbes Jahr verlängert werden. Zudem habe man in Gesprächen erwirkt, dass Tschechien und Österreich Grenzkontrollen zur Slowakei eingerichtet hätten. Faeser kritisierte, dass Serbien einigen Staaten Visafreiheit gewähre und Eingereiste von dort weiter in die EU zögen. Man sei in gemeinsamer Verantwortung, illegale Einreisen zu stoppen, um jenen zu helfen, die die Unterstützung bräuchten. Das will sie Ende der Woche auf EU-Ebene thematisieren.

In der Pandemie saßen viele fest

Migrationsforscher setzen die steigenden Zahlen aber ins Verhältnis. Über die Balkanroute kämen viel weniger Menschen als 2015 oder 2016 - nur etwa 10 bis 15 Prozent der damaligen Zahlen, sagt Franck Düvell von der Universität Osnabrück. Dahinter stecke auch ein «nachholender Effekt». Es kämen viele Menschen, die wegen der Corona-Pandemie in Ankunftsländern wie Griechenland festgesessen hätten und sich nun bessere Bedingungen in nördlichen EU-Ländern erhofften.

Die Zahl der entdeckten irregulären Ankünfte in der EU sei hingegen nicht besonders hoch. «Da ist keine Welle im Entstehen», sagt Düvell. «Dass jetzt wieder das Schreckgespenst Balkanroute 2015 bemüht wird - ich finde das eigentlich unverantwortlich.» Sein Berliner Kollege Engler sieht das ähnlich: «Ich sehe da bisher keine ganz große neue Migrationsbewegung von außen in die Europäische Union.»

Dass bei den Menschen aus der Ukraine und jenen aus anderen Kriegsgebieten wie Syrien oder Afghanistan mit zweierlei Maß gemessen werde, weist Innenministerin Faeser zurück. «Das tun wir nicht», sagte sie nach dem Flüchtlingsgipfel.

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