Rom/Brüssel - Das Gezanke in den sozialen Medien, das Gerede in den Fernsehshows, die nicht aufhörenden Versprechungen von «Wundern» - all das sei schwer zu ertragen. Es war ein Kardinal, der Italiener Gualtiero Bassetti, der seinem Ärger über den italienischen Wahlkampf kürzlich in einem Zeitungsinterview Luft machte.

In der Tat: Hört man den Parteien fünf Wochen vor den für ganz Europa wichtigen Parlamentswahlen zu, ist es kaum zu glauben, dass sie die Verantwortung für ein Land mit enormen Schulden und einem höchst anfälligen Finanzsektor übernehmen wollen.

Auch wenn in Italien die Erinnerung an die Wirtschaftskrise noch frisch ist: Den Wahlkampf dominieren vage Finanzideen und unrealistische Zukunftszenarien. Ausgerechnet Silvio Berlusconi, der als Ministerpräsident das Land an den Rand des Bankrotts manövrierte, lockt mit Versprechen, die es täglich in die Medien schaffen. «Es ist nicht wahr, dass die Staatsverschuldung nicht Teil der politischen Debatte ist», sagt Wirtschaftsprofessor Fausto Panunzi von der Mailänder Bocconi-Universität. «Aber die Parteien scheint mehr zu beschäftigen, wie man sie vergrößern statt reduzieren kann.»

Brüssel beunruhigt

Brüssel beunruhigt das - Italien ist nach Griechenland das größte Sorgenkind der Eurozone mit einer Staatsverschuldung von etwa 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auf die Bankbilanzen drücken Berge fauler Kredite. Italien habe 2017 zwar einige Fortschritte beim Abbau dieser ausfallgefährdeten Darlehen verzeichnet, hieß es zuletzt aus der EU-Kommission. Doch gelöst sei das Problem nicht. Sollte die künftige Regierung wenig auf einen soliden Haushalt und europäische Schuldenregeln geben, könnte die Lage schnell aus dem Ruder laufen.

Die Folgen wären über die Landesgrenzen hinaus spürbar. Im Bankensektor gibt es viele Verknüpfungen zwischen den Geldinstituten des Landes und dem Rest Europas. Sollte das Eurozonen-Schwergewicht wanken, würden das auch die übrigen Euro-Volkswirtschaften spüren. Der Euro-Rettungsschirm ESM, der in der Vergangenheit maßgeblich die Rettungsprogramme schulterte - wie im Fall des deutlich kleineren Griechenlands - würde aller Voraussicht nach an seine Grenzen stoßen.

Im Wahlkampfmodus demonstrieren die Parteien wenig Sensibilität für europäische Notwendigkeiten. Stattdessen verspricht die populistische Fünf-Sterne-Bewegung «weniger Steuern, mehr Lebensqualität». Sie droht, die EU-Regeln zur jährlichen Neuverschuldung zu ignorieren, um Investitionen zu ermöglichen. Umfragen sehen sie als Einzelpartei vorn. Auch ein Grundeinkommen für rund fünf Millionen Menschen, die im Land unter der Armutsgrenze leben, soll Wähler locken. Geschätzte Kosten: 17 Milliarden Euro pro Jahr.

Unhaltbare Vorschläge

Für die Mitte-Rechts-Allianz aus der konservativen Forza Italia, der ausländerfeindlichen Lega und kleineren Rechts-Parteien will Berlusconi Königsmacher sein. Der verurteilte Steuerhinterzieher sagt den Wählern eine «Steuer-Revolution» und einen Einheitssteuersatz von 23 Prozent zu. Eine Verdoppelung der Mindestpensionen auf 1000 Euro hört sich gut an. Solche Vorschläge seien nicht nur unhaltbar, heißt es bei der Denkfabrik Teneo. «Es ist fraglich, ob auch nur einer davon umgesetzt wird, wenn es der Mitte-Rechts-Block schaffen würde.»

Ministerpräsident Paolo Gentiloni und den anderen Sozialdemokraten der PD bleibt nur übrig zu betonen, dass Italien unter ihrer Führung die schlimmste Krise der Nachkriegszeit überwunden hat. Gentiloni setzte den Reformkurs seines Vorgängers Matteo Renzi fort - was die Zahlen angeht, steht Italien wesentlich besser da als zu Beginn der Legislaturperiode 2013. Schätzungen des Weltwirtschaftsforums zufolge ist das Bruttoinlandsprodukt im vorigen Jahr mit 1,6 Prozent stärker gewachsen als gedacht - erwartet wurden 1,1 Prozent. Ende 2017 gab es auch mal gute Nachrichten auf dem Arbeitsmarkt: Im November lag die Jugend-Arbeitslosenquote mit 32,7 Prozent auf einem Fünf-Jahres-Tief.

Den Hauch von Optimismus trübt der ungewisse Wahlausgang. Weder die starken Fünf Sterne noch das Rechts-Bündnis werden es voraussichtlich ohne Partner zu einer regierungsfähigen Mehrheit schaffen. Alles deutet auf zähe Verhandlungen auf dem Weg zu einer Regierung hin.

Hoffen, dass Versprechen nicht eingehalten werden

Offiziell hält sich die EU-Kommission in nationalen Wahlkämpfen zurück. Der 4. März dürfte in Brüssel aber genau beobachtet werden. Immerhin scheinen die einschneidendsten Streitpunkte zwischen Brüssel und Italiens Oppositionsparteien entschärft: Die einst eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung erklärte unlängst, es sei nicht mehr der richtige Zeitpunkt für eine Abstimmung über den Verbleib in der Eurozone. Auch die einstige Separatisten-Partei Lega - die sich jetzt in der Migrationsfrage mit ausländerfeindlichen Slogans profiliert - hat ihre Position in Sachen Gemeinschaftswährung aufgeweicht.

Im Ringen um künftige Reformen im gemeinsamen Währungsgebiet kann Brüssel jeden Verbündeten gebrauchen. «Es gibt viele Dinge, die im Wahlkampf gesagt werden können, und nur wenige passieren», wiegelt Wirtschaftswissenschaftler Panunzi ab. «Paradoxerweise können wir nur mal wieder hoffen, dass Politiker Versprechungen machen, die sie nicht einhalten werden.»

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