Brüssel/Rom – Tagelang blickten viele in Brüssel mit Grausen auf die Regierungsbildung in Italien. Als sich dieEU-kritischen Partner Lega und Fünf Sterne einig schienen, häuften sich Warnungen und Mahnungen an die Adresse Roms, doch bitte vernünftig zu bleiben und nach den EU-Regeln zu spielen. Und nun? Seit das Bündnis der Populisten geplatzt ist, bleibt die EU ziemlich einsilbig. «Es empfiehlt sich nicht in diesen Tagen, zu viel über Italien zu sprechen», sagte Jyrki Katainen, Vizepräsident der EU-Kommission, am Montag.

Die plötzliche Zurückhaltung bedeutet nicht, dass die Sorgen über die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit ihrem hohen Schuldenberg verflogen wären. Zwar hat Staatspräsident Sergio Mattarella mit dem Finanzfachmann Carlo Cottarelli einen Mann als Regierungschef ausgewählt, der für die EU-Partner berechenbarer sein dürfte als die gefürchtete Populisten-Regierung. Doch ist Cottarelli bestenfalls ein Mann des Übergangs. Neuwahlen sind wahrscheinlich, die Unsicherheit bleibt - auch für die EU.

Wieso ist die Regierungsbildung in Italien überhaupt so wichtig?

Das Land hat als EU-Gründerstaat große Symbolkraft. «Italien ist für die Europäische Union von höchster Bedeutung», beteuert zum Beispiel EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Bräche das Land als Stütze der EU weg, könnte dies das ganze Gefüge ins Wanken bringen. Auch deshalb ließen Lega und Sterne mit Grundsatzkritik an Brüssel, am Euro und an den EU-Haushaltsregeln die Alarmglocken schrillen. Zudem machte man sich in Brüssel Sorgen, dass die in der Koalitionsvereinbarung versprochenen Sozialausgaben das Euroland in ernste Schwierigkeiten bringen könnten und die gesamte Eurozone ebenfalls.

Wie könnte das geschehen?

Das Land hat bereits Schulden in Höhe von knapp 132 Prozent seiner Wirtschaftskraft – dabei sind in der EU eigentlich nur 60 Prozent erlaubt. Nur in Griechenland liegt die Schuldenquote höher, doch ist Italiens Volkswirtschaft ungleich größer und wichtiger. Auf die Bilanzen der italienischen Banken drücken zudem Berge fauler Kredite, die als Stabilitätsrisiko gelten. Wirtschaftswachstum und Reformen lahmen seit Jahren. Kurzum: Italien gilt in der Eurozone inzwischen als der wohl größte Unsicherheitsfaktor.

Und ist man jetzt nicht froh, dass die Koalition der Spendierhosen nicht kommt?

Insgeheim schon. An den Börsen war die Erleichterung am Montag gut abzulesen. Erstmal startete der deutsche Leitindex Dax mit Gewinnen. Doch dann drehten die Kurse ins Minus. Denn es setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich mit dem vorläufigen Aus der populistischen Koalition in Rom die Lage nicht grundsätzlich geändert hat. Da die von Mattarella angestrebte Technokraten-Regierung unter Cottarelli keine Mehrheit bekommen dürfte, könnten schon im Spätsommer Neuwahlen anstehen. Und die könnten aus heutiger Sicht dann eine echte populistische Wende in Italienbringen.

Wie reagieren die EU-Partner?

Mit dem Prinzip Hoffnung. «Wir hoffen darauf, dass es alsbald zu einer stabilen proeuropäischen Regierung in Italienkommt», sagte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth in Brüssel. Und eine lange Regierungsbildung habe man ja in Berlin auch gehabt. Selbst der sonst so wortgewaltige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hielt sich mit Ratschlägen zurück. «Ich glaube, wir brauchen dem Präsidenten Mattarella keine Gebrauchsanleitung zu geben», sagte Asselborn. «Er weiß schon, was er macht.»

Die Grünen fordern jedoch, jetzt nicht nur abzuwarten, sondern die Zeit jetzt zu nutzen und Italien so beizustehen, dass nicht noch mehr Bürger EU-kritische Parteien wählen. «Es gibt jetzt ein Gelegenheitsfenster, um Italiens Abkapselung von Europa zu stoppen», meinte der Europaabgeordnete Sven Giegold.

Wie soll das denn gehen?

Tatsächlich stehen zwei wichtige Reformen an, von denen Italien profitieren könnte. So sollen sowohl die seit Jahren debattierte Asylreform als auch der Umbau der Eurozone bis zum EU-Gipfel Ende Juni eingestielt werden. Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik könnte Italien entlasten, das sich mit der Zuwanderung aus Afrika allein gelassen fühlt. Und eine Vollendung der Bankenunion sowie der Ausbau des Eurorettungsschirms zu einem europäischen Währungsfonds könnte Italien ebenfalls nützen. Die Regierung in Rom gehörte jedenfalls bisher zu den Unterstützern der Eurozonen-Reformen.

Nur ist sich die EU – ganz unabhängig von der italienischen Krise - eben noch keineswegs einig. Auch ist unklar, wie viel eine Übergangsregierung in Rom auf EU-Ebene entscheiden und wie tatkräftig sie an Kompromissen mitwirken könnte. Und dann bleibt noch die Frage, ob eine Gipfel-Entscheidung in Brüssel schon den Unmut der Italiener über die EU besänftigen könnte.

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