Brüssel – Geringer Aufwand, hohe Erträge, unter Umständen auf Kosten vieler Meeresbewohner. Mit Treibnetzen wollte die Fischfang-Industrie möglichst viele Fische fangen und auf den Markt bringen. Aber in diesen Treibnetzen verfingen sich oft andere Meerestiere wie Delfine und Schildkröten - und landeten als Beifang neben verkaufbarem Fisch an Bord. Treibnetze sind Netzwände unterschiedlicher Länge, die an schwimmenden Bojen befestigt werden und vertikal in die Tiefe reichen.

Mit dieser Praxis sollte eigentlich seit 1998 in der EU Schluss sein. Mit Blick auf bedrohte Tierarten hatte eine große Mehrheit der EU-Länder damals ein Verbot der Treibnetzfischerei befürwortet. Es trat 2002 mit Ausnahmen in Kraft, 2008 galt das Verbot dann auch in der Ostsee, den Belten und dem Öresund. Dennoch gibt es weiterhin Ausnahmen: Nach Angaben der Umweltorganisation WWF arbeitet noch immer eine zweistellige Zahl an Fischereien in Europa legal mit Treibnetzen.

Ob das Verbot tatsächlich zur Genesung der Tierbestände beigetragen hat, bleibt indes unklar. Mittlerweile hätten zwar bestimmte Meeresbewohner «Anzeichen der Regenerierung» gezeigt, heißt es in EU-Kreisen. Doch die genauen Folgewirkungen, etwa ob Populationen wieder gewachsen sind, wurden nie ausgewertet. Der WWF wertet das Verbot zwar als «großen Erfolg für Europa», das Meer habe sich allerdings noch nicht erholt. «Kleinere Treibnetze werden im Mittelmeer immer noch illegal für die Jagd auf Anchovis und Meerbarben eingesetzt», warnt der WWF-Fischerei-Experte Philipp Kanstinger. Damit bleibe das Problem des Beifangs, der eigentlich gemeldet werden müsste. Es sei aber einfacher, ihn über Bord zu werfen und darüber zu schweigen, sagt Kanstinger. «Vieles, was beim Fischfang an Bord gezogen wird, bleibt undokumentiert», ergänzt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner. Fischfänge könnten wegen fehlender effektiver Vorschriften nicht vollständig erfasst werden. Es brauche bessere Kontrollsysteme, fordert die DUH.

EU-Kommission versucht einen Kompromiss zu finden

Doch es gibt auch Befürworter der umstrittenen Netze. «In der Ostsee gibt es nicht so viel Beifang», sagt der Vorsitzende des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein, Lorenz Marckwardt. In Deutschland seien die Netze wesentlich kleiner gewesen als im Atlantik. Der Vergleich zur Hochseefischerei mit hundert Meter langen Schiffen hinke: «Hier arbeiten Familienbetriebe, mit zwei oder drei Menschen in der Tagesfischerei», sagt er. Seit dem Verbot hätten betroffene Fischer ihre Treibnetze kostenpflichtig entsorgen und auf traditionelle Fangmethoden umsteigen müssen: Tausende Angelhaken müssen Marckwardt zufolge am Abend mit Ködern versehen und ausgelassen werden - eine zeitaufwendige Handarbeit. Das Verbot werde strikt überprüft: «Mittlerweile gibt es hier mehr Kontrolleure auf dem Wasser als Fischer», sagt der Eckernförder Fischermeister Marckwardt. Genau für solche Betriebe versucht die EU-Kommission nun einen Kompromiss zu finden. Seit vier Jahren will sie einen Vorschlag durchsetzen, der den Beschluss von 1998 in Teilen auflockern soll. «Mit dem alten Verbot wurden alle Fischer bestraft, obwohl manche den Fischen nicht geschadet haben», heißt es in Brüssel.

Der neueste Vorschlag der EU-Kommission soll Treibnetze von bis zu 2,5 Kilometern Länge wieder erlauben - sofern die Fischer in den betroffenen Regionen belegen können, dass ihre Arbeit nachhaltig bleibt. Das sei etwa der Fall beim Heringsfang in der südlichen Nordsee oder bei Sardinen, die rund um Spanien und Portugal gefischt werden. «In beiden Regionen werden Treibnetze benutzt und es gibt keinen Hinweis auf Meerestiere im Beifang», heißt es in Brüssel. Wann Parlament und EU-Staaten darüber entscheiden wollen, ist unklar. Deutschland sieht den Vorschlag kritisch. «Die Bundesregierung setzt sich in diesem Prozess gegen eine Lockerung der Verwendung von Treibnetzen ein», sagt eine Sprecherin des Bundesagrarministeriums auf Anfrage.

Unter Forschern gibt es dagegen auch andere Meinungen zu dem Thema. «Grundsätzlich halten wir es für möglich, dass fast alle Fischereimethoden auch nachhaltig betrieben werden», sagt der Leiter des Rostocker Thünen-Instituts für Ostseefischerei, Christopher Zimmermann. Es spreche nichts gegen eine Lockerung des Gesetzes, wenn es zugleich strengere Kontrollsysteme gebe. «Im Einzelnen müsste bei einer Wiedereinführung also sehr genau betrachtet werden, was wo und wann gefischt werden soll», betont Zimmermann.

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