Köln – Auch Jesus war ein Flüchtling. Der Evangelist Matthäus berichtet, wie Maria und Joseph mit ihrem kleinen Jungen nach Ägypten fliehen, um dem Potentaten Herodes zu entgehen. Die Geschichte hat Künstler durch alle Epochen immer wieder inspiriert. Pieter Bruegel (1525/30-1569) versetzte die Flüchtlingsfamilie kurzerhand in eine mitteleuropäische Gebirgslandschaft – wenn man das Bild heute sieht, könnte man an die Balkanroute denken. Auf Anhieb wird klar: Beim Thema Flucht ist die Kirche in der Pflicht.

Tatsächlich gehören sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche zu den Hauptpfeilern der Flüchtlingshilfe in Deutschland. Die katholische Seite hat vor kurzem bereits zum dritten Mal einen Flüchtlingsgipfel in Köln organisiert, zu dem 130 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland zusammengekommen sind.

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat innerhalb der letzten zehn Jahre über rund 1,5 Millionen Asylanträge entschieden. Grafik: dpa

Hilfe im Millionenumfang

«Circa 100 000 freiwillige Flüchtlingshelfer in den Kirchengemeinden haben die Erstaufnahme von Geflüchteten unterstützt», erläutert der für Flüchtlingsfragen zuständige Hamburger Erzbischof Stefan Heße im dpa-Interview. Darüber hinaus bemühten sich 6000 professionelle Mitarbeiter um die Flüchtlinge. Allein im vergangenen Jahr hätten die deutschen Bistümer und die kirchlichen Hilfswerke 128 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe aufgebracht.

Ist das genug? «Ich glaube, es wird für das Engagement, was von uns allen in Zukunft noch nötig sein wird ist, keine Obergrenze geben können», meint Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung «Wir sind Kirche». «Die Kirchen haben vielfältige Möglichkeiten, sie haben Grundbesitz und große finanzielle Ressourcen, denken wir an die Kirchensteuereinnahmen.»

Und sie bekommen für eine ganze Menge Leistungen Ersatz. «Das ist etwas, was viele gar nicht wissen: Die Kirchen werden vom Staat finanziell entschädigt, wenn sie zum Beispiel Gebäude zur Verfügung stellen», erläutert Weisner. «Das sollte man nicht vergessen, wenn die Kirchen auflisten, was sie alles für die Geflüchteten tun.»

«Neue Relevanz»

So lobenswert die Hilfe sein mag – sie erfolgt nicht nur aus reiner Nächstenliebe. Vor allem die katholische Kirche hat damit ein Thema besetzt, mit dem sie sich gesellschaftlich positionieren kann und nahezu permanent in der öffentlichen Debatte präsent ist. Vorher machte sie vor allem durch den Missbrauchsskandal oder den Limburger «Protz-Bischof» Franz-Peter Tebartz van Elst von sich reden – jetzt tritt sie als Anwalt der Flüchtlinge auf. Die Kirche habe dadurch «eine neue Relevanz gewonnen», sagte der Kölner Erzbischof Rainer Woelki vor einiger Zeit in einem dpa-Interview.

Bei der Hilfeleistung kann die Kirche eine ihrer größten Stärken ausspielen – ihren hohen Organisationsgrad. Der Wohlfahrtsverband Caritas und das noch immer dichte Netz von Pfarrgemeinden sind dabei von unschätzbarem Wert. Denn auch das hat die Flüchtlingskrise gezeigt: Guter Wille allein reicht oft nicht aus, man muss auch auf Erfahrung und auf gewachsene Strukturen zurückgreifen können.

Vielleicht ebenso wichtig ist die Bewusstseinsbildung, die die Kirche in Deutschland betreibt: Sie nimmt viele Menschen mit – auch solche, die eher konservativ eingestellt sind und Vorbehalte gegenüber dem Zuzug von Fremden haben.

Von Christoph Driessen

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