Bulgarien weiß um sein schlechtes Image. Ärmstes Land der Europäischen Union. Überforderte Institutionen. Korruptionsgeplagt und deshalb unter besonderer Aufsicht der EU. Aber sich selbst sieht der 2007 aufgenommene EU-Neuling am südöstlichen Rand ganz anders.

«Bulgarien ist beispielhaft», sagt Ministerpräsident Boiko Borissow und lobt den soliden Haushalt und die niedrige Arbeitslosigkeit. Bulgarien versteht sich als Musterschüler, als Boomland, als Modell für Vielfalt und Zusammenhalt. Während der sechs Monate im Vorsitz der 28 EU-Länder will es die Regierung in Sofia allen zeigen.

Das Land mit seinen gut sieben Millionen Einwohnern will endlich als vollwertiges Mitglied ernstgenommen werden und in den engsten Kreis der Gemeinschaft vorstoßen: Schon in den ersten sechs Monaten des Jahres will Bulgarien offiziell die Aufnahme in den Euro beantragen, wie die Regierung am Donnerstag mitteilte. Und es will endlich in die grenzkontrollfreie Schengenzone. Für beides sei die Zeit reif.

«Wir haben unsere Hausaufgaben für die Eurozone gemacht»

«Wir haben unsere Hausaufgaben für die Eurozone gemacht», sagte Borissow. In der Praxis verhalte man sich auch längst wie ein Schengenmitglied und sichere verlässlich die EU-Außengrenze zur Türkei. «Ich glaube, dass sowohl Rumänien als auch Bulgarien es verdienen, Mitglieder der Schengenzone zu werden.»

Die EU-Ratspräsidentschaft bietet Borissow die große Bühne, sich in der Gemeinschaft zu profilieren. Am Donnerstagabend empfing er die Spitzen aller EU-Institutionen zum Auftakt im prächtigen Nationaltheater in Sofia. Unter güldenen Rosetten stimmte ein ernster Mädchenchor die schwermütige Hymne des Landes an, hinter ihnen auf EU-blau das bulgarische Motto «Gemeinsam sind wir stark». So begann für Bulgarien die größte politische Herausforderung seit dem EU-Beitritt vor gut zehn Jahren - und das in einer für die EU kritischen Zeit.

«Für unser Land zeichnet sich eine nicht leichte Aufgabe ab», analysiert der Thinktank Iwan Hadschijski in Sofia. Einiges hat sich Borissows Regierung selbst vorgenommen, vor allem die Entspannung des Verhältnisses zum Nachbarland Türkei und das besondere Augenmerk auf den westlichen Balkan. Sechs Staaten machen sich dort Hoffnungen auf einen EU-Beitritt, jedoch vorerst ohne konkrete Perspektive.

Bis Juni soll ein Kompromiss in der Asylpolitik stehen

Um sie bei der Stange zu halten - und nicht an den Einfluss Russlands oder Chinas zu verlieren - wirbt Sofia zunächst für Vernetzung, zum Beispiel über eine Senkung der Roaming-Gebühren wie in der EU. Für den 17. Mai lädt Borissow die EU-Staats- und Regierungschefs zum Westbalkan-Gipfel nach Sofia.

Die übrigen großen Themen der nächsten Monate sind mehr oder weniger vorgegeben: die Brexit-Verhandlungen, das komplizierte Schachern um den nächsten EU-Finanzrahmen und die Migrationspolitik. Dabei will sich Sofia unter dem Motto «Einig sind wir stark» als Vermittler versuchen. Bis Juni soll ein Kompromiss in der Asylpolitik stehen - ein heikles Thema, an dem sich schon die drei vorherigen Präsidenten Slowakei, Malta und Estland die Zähne ausgebissen haben.

Im Gegensatz zu den Staaten der Visegrad-Gruppe - Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn - steht Bulgarien klar hinter der EU-Politik zur Umverteilung von Flüchtlingen. In Sofia hat Borissow zwar die national-populistischen Vereinigten Patrioten als Juniorpartner im Kabinett. Doch verzichten sie auf flüchtlingsfeindliche Rhetorik. «Brüssel-Bashing» ist ebenfalls nicht zu hören.

77 Prozent befürworteten die EU-Mitgliedschaft

Denn die Bulgaren sind mehrheitlich EU-freundlich gesinnt - zum 10. Jahrestag des Beitritts befürworteten vergangenes Jahr in einer Umfrage 77 Prozent die EU-Mitgliedschaft. Für die zum Ratsvorsitz herausgegebenen Gedenkmünzen standen Bürger Anfang Januar Schlange.

Viele sehen in Brüssel einen Verbündeten, der hilft, die Zustände im Land zu verbessern. Mit der EU-Ratspräsidentschaft verbinden Bürger große Hoffnungen - vielleicht nicht immer ganz realistische. «Die Gehälter sollen so hoch werden wie in den anderen EU-Staaten», wünschte sich eine Frau im Staatsradio in Sofia.

Die sozialistische Opposition will das internationale Rampenlicht für einen Misstrauensantrag gegen die Regierung nutzen, wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung - auch in Brüsseler Augen ein Hauptproblem des Landes. Doch Borissow gibt sich als überzeugter Mustereuropäer: «Wir sind als Regierung den europäischen Werten verpflichtet und handeln nach ihnen.»

«Euer Platz ist in Europa (...) und euer Platz ist im Euro»

Denn er braucht Unterstützung für seine Pläne - den Beitritt in die Schengen- und die Eurozone. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiß er bereits an seiner Seite. «Euer Platz ist in Europa und euer Platz ist in Schengen und euer Platz ist im Euro», bekräftigte Juncker beim Festakt in Sofia. Das Land könne auf die EU-Kommission zählen.

In Deutschland sind die Bedenken jedoch groß. Der CSU-Politiker Markus Söder nannte die Idee eines Beitritts Bulgariens zur Eurozone noch im September absurd. Auch für die Bundesregierung steht das nicht auf der Tagesordnung. Aber das müsse ja nicht das letzte Wort sein, findet Bulgarien, schon gar nicht nach einer erfolgreichen EU-Ratspräsidentschaft.

Von Elena Lalowa und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

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