Brüssel/Budapest - Nein, nein, von Krieg könne keine Rede sein. Einen offenen Konflikt mit der rechtsnationalen Regierung Ungarns gebe es nicht, sagte jüngst ein Sprecher der EU-Kommission. Alles gut also zwischen Brüssel und Budapest? Mitnichten: Das Verhältnis ist am Tiefpunkt. Von alternativen Fakten, Verschwörungstheorien und Lügen ist die Rede. Allein, dass der Sprecher sich zu einer solchen Klarstellung berufen fühlt, lässt tief blicken.

Der Widerstand gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban wächst. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker belässt es längst nicht mehr - wie noch 2015 - bei einem launigen Spruch und einem Klapps auf Orbans Wange. Damals begrüßte er Orban lächelnd mit den Worten «Hallo, Diktator». Mittlerweile ist ihm das Lächeln vergangen.

Unterstützung bekommt Juncker von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Und auch die Unionsfraktion im Bundestag distanziert sich von Orban. Sie stellt sogar die Mitgliedschaft von Orbans Fidesz-Partei in der europäischen Parteienfamilie EVP infrage - in der sowohl Junckers Partei als auch CDU und CSU sind.

«Orban provoziert Rauswurf»

Die jüngste Attacke gegen Juncker sei «politisch völlig inakzeptabel und eines Ministerpräsidenten absolut unwürdig», sagte Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Sie widerspreche allen Werten, für die christdemokratische Parteien in der EVP stünden. Orban habe selbst nicht den Mut, die Parteienfamilie zu verlassen und provoziere deshalb den Rauswurf seiner Partei. So weit ging Merkel am Donnerstag nicht. Sie wolle nur sagen, dass «Jean-Claude Juncker meine volle Solidarität hat».

Seit Jahren feuert Orban gegen die EU-Kommission im Allgemeinen und gegen Juncker im Besonderen. Jüngstes Beispiel ist eine Kampagne, die die Regierung in Budapest am Montag vorstellte: Mit zu Grimassen verzogenem Gesicht sind Juncker und George Soros, ein liberaler US-Milliardär ungarischer Herkunft, zu sehen. Beide, suggeriert die Kampagne, wollten illegale Migration nach Ungarn fördern.

Es ist nicht das erste Mal, dass Orban den Kommissionschef persönlich angreift. Im September 2016 beschimpfte er Juncker als «Nihilisten». Im vergangenen November erklärte er die Wahl des Luxemburgers zum Kommissionschef zu «einem der schwersten Fehler» der europäischen Politik.

Zwischen Demokratie und Autokratie

In Ungarn höhlt Orban indes Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus, bringt kritische Medien zum Schweigen, nimmt Universitäten an die Kandare und schwächt die Opposition durch willkürliche Geldstrafen. Politikwissenschaftler sprechen von einem «hybriden System» zwischen Demokratie und Autokratie. Orban selbst nennt es «illiberale Demokratie». Mit Zäunen, xenophoben Hetzkampagnen und einer restriktiven Asylpolitik schottet er sein Land ab.

Das Europaparlament leitete deshalb bereits ein Sanktionsverfahren wegen der Gefährdung von EU-Grundwerten ein, die EU-Kommission verklagte Ungarn wegen der Verletzung von EU-Recht vor dem Europäischen Gerichtshof. Drei Monate vor der Europawahl Ende Mai scheint - auf beiden Seiten - die letzte Zurückhaltung zu fallen.

Juncker erklärte am Dienstag in Stuttgart: «Es gibt zwischen Herrn Orban und mir überhaupt keine Schnittmenge.» Die Konservativen in Ungarn würden in keiner Weise christdemokratische Werte vertreten. «Also bin ich der Meinung, dass sein (Orbans) Platz nicht in der Europäischen Volkspartei ist.»

Zugleich spielte er den Ball an Manfred Weber (CSU) weiter, der EVP-Fraktionschef im Europaparlament ist und Juncker im Herbst als Kommissionschef beerben will. Weber werde sic«lösen in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung aus»h die Frage stellen müssen, ob er die Fidesz-Stimmen überhaupt brauche.

«Unverständnis und Verärgerung»

Tatsächlich könnten die Stimmen für Weber aber sehr wichtig werden. Seit Monaten vollzieht er einen wackligen Balanceakt. Bei der Abstimmung des EU-Parlaments stimmte er als einziger der CSU-Abgeordneten für das Strafverfahren gegen Ungarn. Regelmäßig betont er, es gebe keinen Spielraum bei Fragen des Rechtsstaats. Für einen Fidesz-Ausschluss konnte er sich bislang aber nicht erwärmen.

Nun deutete er jedoch einen Kurswechsel an. Orban müsse «erkennen, dass er sich derzeit immer weiter von der EVP entfernt», sagte Weber der «Süddeutschen Zeitung» (Freitag). Teile von Orbans Rede zur Lage der Nation und sowie die jüngste Kampagne gegen Juncker «lösen in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung aus». Er halte «manche Formulierungen für inakzeptabel» und rechne damit, dass sich auch CDU und CSU damit befassen werden.

In der Union herrscht in Sachen Orban allerdings alles anderes als Konsens. Der ehemalige Bundesinnenminister und jetzige Vizepräsident des Bundestages, Hans-Peter Friedrich (CSU), machte Juncker jüngst zum Buhmann: «Juncker warnt vor dem Zerfall der EU und betreibt ihn gleichzeitig durch seine Kampagne gegen Ungarn und seinem gewählten Ministerpräsidenten Viktor Orban.»

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