Straßburg - Das EU-Parlament hat sich gegen Pläne ausgesprochen, fünf bestimmte Antibiotikagruppen für den Einsatz beim Menschen zu reservieren und bei Tieren weitgehend zu verbieten. Die Abgeordneten lehnten ein entsprechendes Vorhaben des grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling in Straßburg ab. Nun dürften in der EU andere Antibiotika für Tiere gesperrt werden - welche, ist unklar.

Was genau war los? Häusling und der Umweltausschuss hatten ein Veto eingelegt, das sich gegen einen Vorschlag der EU-Kommission zur Frage, welche Kriterien bei der Auswahl sogenannter Reserveantibiotika angelegt werden sollten, richtete. Häusling waren die Vorschläge aus Brüssel zu schwammig. Wäre sein Einspruch angenommen worden, wäre die EU-Kommission aufgefordert worden, fünf Antibiotika-Gruppen auf die Liste der Reserveantibiotika zu stellen.

Humanmediziner kritisieren Entscheidung

Die Bundesärztekammer kritisierte die Entscheidung der EU-Abgeordneten scharf als vertane Chance. Tierärzte und CDU-Abgeordnete hingegen begrüßten das Votum.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Sehenden Auges steuert Europa auf Zeiten zu, in denen es keine lebensrettenden Reserveantibiotika mehr gibt.» Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, Schlupflöcher zu schließen, um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung deutlich spürbar zu begrenzen und so die menschliche Gesundheit vor der Entwicklung resistenter Erreger zu schützen. «Die Entscheidung der Abgeordneten kann unter Umständen tatsächlich Menschenleben kosten.»

Auch Häusling sagte: «Es ist ein ganz schlechter Tag für die Humanmedizin.» Es sei aber auch ein schlechter Tag für Hunde- und Katzenhalter. Der Grünen-Abgeordnete und der Umweltausschuss des EU-Parlaments hatten erreichen wollen, dass fünf Antibiotikagruppen vor allem Menschen vorbehalten sein sollen, aber in Ausnahmefällen an einzelne kranke Tiere verabreicht werden dürfen. Ziel war, den massenhaften Einsatz dieser Stoffe in der Tiermast zu beenden, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen.

Bis hin zu Morddrohungen

Die Vorschläge hatten Protest beim Verband praktizierender Tierärzte ausgelöst. Dieser befürchtete, dass auch Haustiere künftig nicht mehr adäquat mit Antibiotika behandelt werden könnten. Er hatte eine Unterschriftenaktion gestartet. Zahlreiche Tierhalter, die um die medizinische Versorgung ihrer Vierbeiner fürchteten, unterzeichneten diesen. Die Debatte war zeitweise so aufgeheizt, dass es sogar Morddrohungen gegen Häusling gegeben hatte: «Wenn meine Katze stirbt, stirbst du auch», solche Nachrichten kamen vor der Entscheidung bei ihm an.

Verbandsgeschäftsführer Heiko Färber zeigte sich erfreut über das Abstimmungsergebnis: «Wir glauben, dass das der richtige Weg ist, um den Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen anzugehen.» Färber hatte sich auch im Vorfeld der Entscheidung schon zu Häuslings Vorstoß geäußert: «Wenn dies so umgesetzt würde, würden für die Tiermedizin vier Wirkstoffklassen verboten», hatte er gesagt. Martin Häusling spreche zwar von Ausnahmemöglichkeiten für die Behandlung einzelner Tiere. «Das hört sich gut an», sagt Färber, aber das sei unrealistisch. Denn für solche Ausnahmeregelungen müsste die jahrelang mühsam ausgehandelte Tierarzneimittel-Verordnung wieder neu aufgemacht werden - und dazu gebe es keinerlei politischen Willen.

Die Sichtweise von Tierärzten sei grundsätzlich: «Ich bin dafür da, kranke Tiere zu behandeln», sagt Färber. «Und dafür sollten mir die besten Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Wenn man bestimmte Wirkstoffe wegnimmt, dann wird die Behandlung unter Umständen schlechter sein.» Manche Stoffe könne man zwar eventuell durch ältere Antibiotika ersetzen. Aber teilweise habe das dann sogar Nachteile im Hinblick auf die Resistenzentwicklung.

Ausnahmeregelung kein Hexenwerk

Rückendeckung bekam der Verband im Vorfeld von der Nationalen Forschungsplattform Zoonosen. Diese schrieb in einer Stellungnahme, es fehle bisher der Beleg dafür, dass ein pauschales Verbot das Vorkommen von Resistenzen in der Humanmedizin substanziell und nachhaltig beeinflussen würde». Daher sei ein solches Verbot unverhältnismäßig, hieß es beim Tierärzte-Verband. Schlussendlich gehe es um die Frage: «Kann man als Tierarzt kranke Tiere adäquat behandeln oder muss man bei bestimmten Erkrankungen Tiere einschläfern?», sagt Färber.

Dieser Darstellung widersprach Häusling vehement: Es sei kein Hexenwerk, einen Satz zu Ausnahmeregeln für Einzeltierbehandlung in die Verordnung zu schreiben. Für die meisten Stoffe gebe es zudem gute Alternativen. Andere Länder, etwa Dänemark, machten zum Beispiel vor, dass man in der Viehzucht auf Reserveantibiotika verzichten könne. Außerdem sei die EU-Kommission durch sein Veto zunächst nur aufgefordert, neue Vorschläge zu unterbreiten.

Nun aber bleibt es bei den ursprünglichen Plänen der EU-Kommission. Diese will ebenfalls Antibiotika benennen, die nur für Menschen erlaubt sein sollen. Allerdings will die Brüsseler Behörde bislang keine konkreten Stoffe nennen, die auf die Liste von Reserveantibiotika kommen sollen. Stattdessen präsentierte sie Kriterien für deren Auswahl: etwa eine hohe Bedeutung für die menschliche Gesundheit und ein «nicht-essenzieller» Bedarf in der Tiermedizin.

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Im Jahr 2020 zählte das Statistische Bundesamt rund 168 000 viehhaltende Betriebe in Deutschland. Das sind 48 000 Betriebe weniger als noch vor zehn Jahren. Zurückgegangen ist auch die Zahl der gehaltenen Rinder, Schweine und Schafe. Deutlich zugenommen hat dagegen die Geflügelhaltung.

Reserveantibiotika sind Medikamente, die bei Infektionskrankheiten verwendet werden, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken. Ziel ist ein möglichst restriktiver Einsatz dieser Mittel, um ihre Wirksamkeit durch sich entwickelnde Resistenzen nicht zu gefährden. Der Grund: Je mehr ein Antibiotikum eingesetzt wird, desto eher setzen sich resistente Erreger-Subtypen durch. Solche Resistenzen sind gefürchtet: Laut der EU-Kommission sterben jedes Jahr in der EU 33 000 Menschen, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken.

Schätzungen zufolge würden weltweit 66 Prozent aller Antibiotika für landwirtschaftliche Nutztiere verwendet und nicht für Menschen, erklärte Häusling. In Mastbetrieben würden immer noch auch gesunde Tiere über Futter oder Wasser mit Antibiotika behandelt, wenn es in dem Stall kranke Tiere gebe. Resistente Keime aus den Ställen können etwa über Fleisch zum Menschen gelangen.

Zwar ist die Menge der Antibiotika, die an Tierärzte abgegeben wurden, zuletzt deutlich gesunken. Doch wenn ein Mensch mit besonders häufigen multiresistenten Keimen besiedelt wird, ohne Symptome zu entwickeln, dann geht das in fast jedem fünften Fall auf eine Übertragung von tierischen Lebensmitteln zurück. Das schätzt ein niederländisches Modell. Die Deutsche Umwelthilfe hatte zuletzt in einer Stichproben-Untersuchung bei Putenfleisch der Haltungsstufe 2 von Lidl und Aldi auf fast jedem dritten Kauf antibiotikaresistente Keime festgestellt.

Wohl keine besondere Regelung für Haustiere

Welche Stoffe am Ende auf die EU-Liste der Reserveantibiotika kommen, muss die Kommission nach Angaben von Häuslings Büro bis zum 28. Januar 2022 klarstellen. Diese Mittel sollen dann aber aller Voraussicht nach wirklich nur für Menschen erlaubt sein - eine Einzelbehandlung kranker Haustiere, wie Häusling sie gefordert hatte, schloss die Kommission zuletzt aus. Damit habe sich der Tierärzte-Verband ins eigene Knie geschossen, sagte der Grünen-Abgeordnete.

Er bemängelte eine seiner Meinung nach unredliche Kampagne des Verbands - auch gegen ihn persönlich. Es sei unverständlich, dass die Interessen der Tierärzte und der Agrarlobby nun offenbar höher gewichtet würden als die der Humanmediziner, die sich hinter sein Vorhaben gestellt hätten. «Man kann doch nicht den Schutz von Meerschweinchen mit der Humanmedizin gleichstellen.» Laut dem SPD-Abgeordneten Tiemo Wölken ist die Entscheidung des EU-Parlaments «ein Lobby-Sieg, der mit Falschinformationen errungen wurde».

Der Geschäftsführer des Tierärzte-Verbands, Färber, wies die Vorwürfe zurück, eine Fake-News-Kampagne geführt zu haben. Sein Verband sei stets zu Gesprächen bereit gewesen und ja ebenfalls dafür, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Aber mit den Plänen Häuslings habe die Gefahr bestanden, dass zu viele Medikamente für Tiere weggefallen wären.

Tierärzte angefeindet

Die Gruppenbehandlung von Nutztieren sei überdies bislang nicht zu ersetzen - jedenfalls nicht, ohne den Tod vieler Tiere in Kauf zu nehmen, sagte Färber. Ob man das wolle, das könne man nicht nebenher entscheiden. Nach den Anschuldigungen Häuslings würden nun viele Tierärzte in ihren Praxen von aufgebrachten Bürgern angefeindet.

Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament, hatte vorab ebenfalls die Pläne von Häusling kritisiert. Dessen Einspruch gegen das Vorgehen der EU-Kommission hätte letztlich Lösungen verzögert, erklärte er. «Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist wissenschaftsbasiert und verhältnismäßig.» Er stelle «bereits eine Verringerung der in der Tiermedizin verfügbaren Antibiotika und einen verbesserten Schutz vor Antibiotikaresistenz für den Menschen dar».

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