Brüssel - Streit mit den USA, Spannungen mit Russland: Globale Krisen überschatten den EU-Gipfel in Brüssel an diesem Donnerstag und Freitag. Eigentlich wollten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs ruhig und geordnet die aktuellen Baustellen der Europäischen Union bearbeiten - die gemeinsame Wirtschaftspolitik, die Reform der Eurozone, die Beziehungen zu Großbritannien nach dem Brexit. Doch dann drängten ganz andere Themen auf die Agenda.

DER FALL SKRIPAL

Nach dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter bezeichnen EU-Diplomaten die Lage als sehr ernst. Großbritannien macht Moskau für die Attacke mit einem militärischen Nervengift verantwortlich. Der Gipfel will sich an die Seite der britischen Regierung stellen. Deren Einschätzung, dass sehr wahrscheinlich Russland verantwortlich sei, nehme man «äußerst ernst», heißt es im Entwurf der Abschlusserklärung. Und weiter: «Die Mitgliedstaaten werden sich darüber abstimmen, welche Konsequenzen in Anbetracht der Antworten der russischen Behörden zu ziehen sind.» Zudem müsse sich die EU besser gegen chemische, biologische und nukleare Risiken sowie gegen Cyberattacken wappnen.

DER HANDELSSTREIT MIT DEN USA

Von diesem Freitag an wollen die USA auf Stahl- und Aluminiumimporte Schutzzölle erheben. Die EU kritisiert dies und will als enger Verbündeter der USA zumindest davon ausgenommen werden. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström rang diese Woche in Washington um eine Zusage und äußerte nach ihrer Rückkehr am Donnerstag die Hoffnung, dass US-Präsident Donald Trump diese am Nachmittag geben werde. Sicher war dies aber nicht. Je nachdem, wie die Sache ausgeht, will der Gipfel reagieren. Gegen-Zölle stehen im Raum. In jedem Fall wollen die EU-Länder ihr «Engagement für ein offenes und regelbasiertes multilaterales Handelssystem» bekräftigen.

WIE WEITER MIT DER TÜRKEI?

Im Krisenmodus ist die EU auch seit Monaten mit der Türkei. Zwar bleibt Ankara ein wichtiger Partner im Flüchtlingsabkommen - in vielen anderen Politikfeldern aber knirscht es gewaltig. Die in Aussicht gestellte EU-Visumfreiheit für Türken scheiterte bislang daran, dass die EU die Bedingungen nicht erfüllt sah. Die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara liegen auf Eis. All das soll Thema beim EU-Türkei-Gipfel am Montag im bulgarischen Warna sein. Aber kommt es überhaupt zu dem Treffen? Im Dezember hatte EU-Ratschef Donald Tusk das noch in Frage gestellt, unter anderem wegen eines Konflikts über Gasbohrungen vor Zypern. Im Entwurf der Gipfelerklärung werden die «anhaltenden illegalen Aktivitäten» der Türkei im östlichen Mittelmeer und der Ägäis auch scharf verurteilt. Von einer Absage des Warna-Treffens ist aber nicht die Rede.

DIGITALES EUROPA

Die EU-Kommission will die großen Internetkonzerne stärker besteuern und dafür die europäischen Umsätze der Unternehmen heranziehen.  Vorschläge hat die Behörde erst am Mittwoch vorgelegt. Sie sollen beim Gipfel besprochen werden. Allerdings ist kein Konsens in Sicht. Irland zum Beispiel hat Facebooks internationales Hauptquartier mit sehr niedrigen Steuern angelockt und schließt ein Veto nicht aus. Einig sind sich die EU-Länder aber offenbar in der Sorge über den möglichen Missbrauch von Daten aus sozialen Medien. «Soziale Netzwerke und digitale Plattformen müssen transparente Praktiken und vollen Schutz für die Privatsphäre der Bürger und persönliche Daten garantieren», heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung nur Tage nach der Enthüllung, dass Facebook-Daten systematisch für den US-Wahlkampf genutzt wurden.

BREXIT

In den Verhandlungen mit Großbritannien über den 2019 anstehenden Austritt meldete die EU zuletzt Fortschritte: Über 70 bis 80 Prozent des Austrittsvertrags sei man sich einig, darunter auch Abmachungen über eine Übergangsfrist nach dem Brexit bis Ende 2020. Den Zwischenstand dürften die 27 bleibenden Länder am Freitag absegnen. Schwieriger wird die nächste Etappe: Wie eng sollen EU und Großbritannien nach der Trennung noch beieinander bleiben? London meint: Sehr eng, eigentlich fast so eng wie bisher, nur mit mehr Freiheit für Britannien. Die EU hält dagegen: Ein Nicht-Mitglied könne nie dieselben Vorteile haben wie ein Mitglied der EU. Was dies genau bedeutet, müssen die EU-Länder erst einmal unter sich klären.

REFORM DER EUROZONE

Die Eurozone will sich mit Reformen besser vor Finanz- und Währungskrisen schützen - nur, wie das geschehen soll, ist weiter offen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine Reihe von Forderungen aufgestellt, etwa einen eigenen Haushalt für die Eurozone. Eine gemeinsame Position mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang aber noch nicht. Die Debatte der 19 Euro-Staaten am Freitag konzentriert sich deshalb zunächst nur darauf, ob die Eurozone einen permanenten Krisenfonds braucht und wie er aussehen könnte. Etliche EU-Länder sind skeptisch, darunter die Niederlande, Finnland und sechs weitere Mitglieder. Entscheidungen sollen erst im Juni fallen.

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