Brüssel - Die Ukraine kann nach einer positiven Bewertung der EU-Kommission auf einen schnellen Start von Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union hoffen. Die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen empfahl den EU-Mitgliedstaaten förmlich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit dem Land, das sich seit mehr als 20 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg wehrt. Vor der ersten Gesprächsrunde soll die Ukraine allerdings begonnene Reformen für eine bessere Korruptionsbekämpfung, mehr Minderheitenschutz und weniger Oligarchen-Einfluss abschließen müssen. Dies wird bis zum nächsten März für möglich gehalten.
Auf Grundlage neuer Bewertungen der EU-Kommission können zudem auch das Ukraine-Nachbarland Moldau und eingeschränkt Bosnien-Herzegowina auf einen Start von EU-Beitrittsverhandlungen hoffen. Zudem sollte Georgien den Status eines Beitrittskandidaten bekommen können. «Heute ist ein historischer Tag», sagte von der Leyen zu den Empfehlungen. Ob diese umgesetzt werden, muss nun einstimmig von den EU-Staaten entschieden werden.
Selenskyj bezeichnet Empfehlung als richtigen Schritt
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schrieb zu dem Zeugnis für die Ukraine, der Beginn der EU-Beitrittsgespräche sei der nächste Schritt, den man gemeinsam gehen sollte. Denn eine stärkere, größere und geschlossene EU sei die geopolitische Antwort auf Russlands Angriffskrieg.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Empfehlung der Kommission als einen «richtigen Schritt» und versprach weitere Reformbemühungen. «Unser Land sollte Mitglied der Europäischen Union sein», betonte er. Die Ukrainer hätten sich das mit «ihrer Verteidigung der europäischen Werte» verdient.
Noch ausstehende Reformen sind auf dem Weg
Dass es trotz noch nicht erfüllter Auflagen eine positive Empfehlung für die Ukraine gab, erklärte von der Leyen in einer Pressekonferenz damit, dass die noch ausstehenden Reformen bereits auf den Weg gebracht seien. «Der Fortschritt, den wir in der Ukraine sehen, ist beeindruckend», betonte sie. Sie sei der festen Überzeugung, dass dies die Ukraine auch in ihrem beeindruckenden Kampf gegen den russischen Angriffskrieg stärke.
Sollten die Regierungen der EU-Staaten der Empfehlung der EU-Kommission zustimmen, könnten erstmals in der Geschichte der EU Beitrittsverhandlungen mit einem Land im Krieg geführt werden. Die Ukraine hatte am 28. Februar vergangenen Jahres kurz nach dem Beginn der russischen Invasion ihren Antrag auf Beitritt zur EU gestellt.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten verliehen dem Land dann am 24. Juni 2022 den Kandidatenstatus. Gleichzeitig wurde damals vereinbart, dass über weitere Schritte erst dann entschieden werden soll, wenn sieben von der EU-Kommission empfohlene Kriterien erfüllt sind. Bei ihnen ging es neben Dingen wie der Korruptionsbekämpfung auch um Anti-Geldwäsche-Regeln und die Medienfreiheit. Nach dem Bericht der Kommission hat die Ukraine bislang vier der sieben Reformauflagen vollständig erfüllt.
EU-Staaten sollen vor Weihnachten entscheiden
Die Ukraine hofft, dass die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder bei ihrem letzten regulären Gipfeltreffen des Jahres am 14. und 15. Dezember ihre grundsätzliche Zustimmung für einen Start von Beitrittsverhandlungen geben.
Von der Leyen wirbt für Fortschritte
Von der Leyen warb bei den Regierungen der Mitgliedstaaten dafür, die Empfehlungen für Fortschritte im EU-Erweiterungsverfahren anzunehmen. «Die bisherigen Erweiterungen haben den enormen Nutzen sowohl für die Beitrittsländer als auch für die EU gezeigt. Wir alle gewinnen», erklärte sie.
Neben der Ukraine, Georgien, Moldau und Bosnien-Herzegowina wurden auch die Türkei, Montenegro, Albanien, Serbien, Nordmazedonien und das Kosovo als potenzielle künftige EU-Mitglieder von der Kommission bewertet. Am besten schnitt dabei erneut das kleine Westbalkanland Montenegro ab, das im EU-Beitrittsprozess derzeit als klare Nummer eins gesehen wird.
Die Türkei bekam hingegen erneut ein negatives Zeugnis ausgestellt. Der negative Trend des Wegdriftens von der EU bleibe bestehen, heißt es in dem Bericht mit Blick auf Rückschritte in Schlüsselbereichen wie Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz. Die Beitrittsverhandlungen blieben unverändert im Stillstand.