Immer wieder ist Bundeskanzler Olaf Scholz in den letzten Wochen auf Pressekonferenzen auf die Zukunft der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 angesprochen worden. Nie hat er die Fragen beantwortet. In der Regel ist ihm noch nicht einmal der Name der 1230 Kilometer langen Doppelröhre zwischen dem westrussischen Wyborg und Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern über die Lippen gegangen.

Als Scholz am Dienstagmittag zusammen mit Irlands Ministerpräsidenten Micheál Martin vor die Presse tritt, wartet er gar nicht erst, bis er gefragt wird. Schon in seinem Eingangsstatement verkündet er, was einige Bündnispartner schon lange von ihm fordern: Nord Stream 2 wird auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.

Gegenoffensive statt Zögerlichkeit

Die Lage habe sich grundlegend verändert, sagt Scholz zur Begründung. Er spricht von sehr schweren Tagen und Stunden für Europa. «Knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs droht ein Krieg im Osten Europas. Es ist unsere Aufgabe eine solche Katastrophe abzuwenden.»

Wenige Stunden zuvor hat Scholz verfolgt, wie der russische Präsident Wladimir Putin in einer Fernsehansprache die beiden selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt hat. Diesmal will sich der Kanzler nicht wieder den Vorwurf der Zögerlichkeit einhandeln. Noch bevor die EU über ein gemeinsames Sanktionspaket entscheidet, geht er mit dem Stopp von Nord Stream 2 in die Offensive.

Es ist wohl eine der wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen Deutschlands der jüngsten Zeit. Jahrelang lastete die Pipeline auf den Beziehungen zu den USA und den osteuropäischen EU-Staaten. Deutschland wurde vorgeworfen, sich zu sehr in die Abhängigkeit von russischem Gas zu begeben und damit Europas Sicherheit zu gefährden. Die Belastung ging so weit, dass die USA deutschen Unternehmen mit Sanktionen drohten.

Scholz zieht die Reißleine - unter dem Jubel der Verbündeten

Noch bei seinem Antrittsbesuch in den USA hielt Scholz der Forderung der Bündnispartner nach mehr Klarheit bei Nord Stream 2 stand und schwieg, während US-Präsident Joe Biden das Ende der Pipeline für den Fall einer russischen Invasion in der Ukraine ankündigte.

Dass er jetzt die Reißleine zieht, trägt zur Einheit des Westens gegenüber Putin bei. In den USA und in den an Russland grenzenden EU-Mitgliedstaaten wird der lange Zeit für seine Zurückhaltung gerügte Kanzler nun bejubelt: «Dies ist die Stimme der Vernunft und des offenen Widerstands gegen die neoimperialistischen Ambitionen des Kremls», schreibt beispielsweise Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki auf Facebook.

«Herzlich willkommen in einer neuen Welt»

Nur aus Moskau kommt isolierte Kritik. Und eine Drohung: «Herzlich willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen», schrieb der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew auf Twitter. Heute kostet diese Menge einen Bruchteil davon.

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Gaspipeline Nord Stream 2

Scholz hat die deutsche Bevölkerung bereits darauf vorbereitet, dass die Bestrafung Russlands auch auf eigene Kosten gehen wird. In der von Medwedew beschriebenen neuen Welt nach der Putin-Rede wird es wohl nicht mehr viele Brücken zwischen der EU und ihrem mächtigsten Nachbarn Russland geben.

Hunderte Personen auf Sanktionsliste

Nach Angaben des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian stimmten die EU-Staaten am Dienstagnachmittag bei einem Sondertreffen in Paris einem weitreichenden Paket an Sanktionen zu, das nur wenige Stunden zuvor von der EU-Kommission vorgeschlagen worden war. Es beinhaltet unter anderem ein Handelsverbot für russische Staatsanleihen sowie Strafmaßnahmen gegen Banken, die an der Finanzierung der Militäroperationen und andere Maßnahmen in den Separatistengebieten beteiligt sind.

Zudem werden mehrere Hundert Personen neu auf die EU-Sanktionsliste gesetzt. Darunter sind die 351 Abgeordneten des russischen Parlaments, die für die Anerkennung von Luhansk und Donezk gestimmt haben. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie mit EU-Einreiseverboten belegt werden und nicht mehr am Mittelmeer oder in den Alpen Urlaub machen können. Zudem werden in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren.

Die Sanktionen seien eng mit Partnerländern wie den USA, Großbritannien und Kanada abgestimmt worden, betonten EU-Beamte am Dienstag in Brüssel. So sei beispielsweise Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die ganze Nacht über in Kontakt mit Staats- und Regierungschefs gewesen.

Keine langen Diskussionen in der EU

Mit Erleichterung wurde in Brüssel registriert, dass lange Diskussionen unter den 27 EU-Mitgliedstaaten ausblieben. Als nicht ausgeschlossen galt zum Beispiel, dass Ungarn noch versuchen würde, das Sanktionspaket abzuschwächen. Der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban pflegt im Gegensatz zu den meisten anderen Staats- und Regierungschefs der EU ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland und Putin.

Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass die echte Bewährungsprobe noch aussteht. Sie wird dann auf die EU-Staaten zukommen, wenn Putin einen Angriff auf weitere Teile der Ukraine wagen sollte. Für diesen Fall hat die EU-Kommission Sanktionen vorbereitet, die unmittelbar auch die Wirtschaft der EU-Staaten treffen würden. Dazu gehören zum Beispiel Ausfuhrverbote für Hightech-Technologie oder Strafmaßnahmen gegen den russischen Energiesektor. Letztere würden zwar zu erheblichen Einnahmeausfällen in Russland führen, gleichzeitig könnten sie aber zu einem erheblichen Anstieg der Energiepreise in Europa führen.

Noch nicht das Ende der Diplomatie

Kann ein solches Szenario noch verhindert werden? Auch wenn Putin mit seiner Entscheidung das unter deutscher Beteiligung ausgehandelte Minsker Friedensabkommen für die Ostukraine faktisch zerstört hat, wollen sich Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron weiter als Vermittler versuchen. Seit Beginn des Konflikts vor acht Jahren nehmen beide Länder zusammen diese Rolle ein. Immer wieder hat es die sogenannten Normandie-Treffen gegeben, benannt nach dem Ort der ersten Zusammenkunft in der nordfranzösischen Region.

Der Friedensprozess ist nun erst einmal gescheitert. Der Gesprächskanal soll aber weiterhin genutzt werden. Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte am Dienstag, dass Putin grundsätzlich zu einem Gipfel mit Scholz, Macron und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bereit sei. Zuletzt hat es ein solches Treffen im Dezember 2019 in Paris gegeben.

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