Warschau - Polens neuer Regierungschef Donald Tusk hat eine grundlegende Wende in der Europapolitik seines Landes angekündigt. Polen müsse durch gute Zusammenarbeit zu einem Anführer in der EU werden, sagte Tusk in seiner Regierungserklärung einen Tag bevor er durch Präsident Andrzej Duda vereidigt wurde. Er betonte auch, dass Polen sich in EU und Nato für weitere Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine einsetzen werde.

Das Dreierbündnis aus Tusks liberalkonservativer Bürgerkoalition, dem christlich-konservativen Dritten Weg und dem Linksbündnis Lewica hatte bei der Parlamentswahl am 15. Oktober eine Regierungsmehrheit errungen. Jedoch hatte die bisherige nationalkonservative PiS-Regierung den Machtwechsel mit Hilfe von Duda lange hinausgezögert. 

Der Präsident hatte zunächst den früheren Ministerpräsidenten und PiS-Politiker Mateusz Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt, obwohl die Partei keine Mehrheit im Parlament hatte. Morawiecki scheiterte jedoch erwartungsgemäß an der Vertrauensabstimmung. Erst danach, acht Wochen nach der Wahl, war der Weg für Tusk frei.

Grafik: Polens neues Parlament

Tusk betont Führungsanspruch in der EU

In seiner Regierungserklärung mahnte Tusk die Einhaltung der Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an. «Was wirklich eine Gemeinschaft formt, sind Rechtsstaatlichkeit, die Verfassung, die Regeln der Demokratie, sichere Grenzen und ein sicheres Landesgebiet - das sind die Dinge, über die wir uns nicht streiten dürfen», sagte er.

In den zurückliegenden acht Jahren lag die PiS-Regierung wegen der Reform des polnischen Justizwesens im Dauerclinch mit Brüssel. Die EU-Kommission hatte mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet und blockiert einen milliardenschweren Corona-Hilfsfonds. Tusk gab sich zuversichtlich, dass sich das bald ändern werde. «Ja, ich werde die ersehnten Milliarden Euro aus Brüssel herbringen», sagte der ehemalige EU-Ratspräsident, der von 2007 bis 2014 schon einmal polnischer Regierungschef war. 

Unter seiner Regierung werde Polen durch gute Zusammenarbeit die Position eines «Anführers innerhalb der EU» erreichen, sagte Tusk. «Wir sind umso stärker, umso souveräner, je stärker die Europäische Gemeinschaft ist.» Es sei auch ein Grund für den Sieg des proeuropäischen Dreierbündnisses bei der Parlamentswahl gewesen, dass viele Wähler in Polen sich gewünscht hätten, dass das Land in der EU eine entscheidende Rolle spiele.

Fortsetzung der Ukraine-Unterstützung

Tusk hob hervor, Polen bleibe ein wichtiges und starkes Nato-Mitglied und ein treuer, stabiler und selbstbewusster Verbündeter der USA. Er kündigte an, seine Regierung werde den Westen zu mehr Unterstützung für die angegriffene Ukraine bewegen. Er könne es nicht mehr hören, wenn manche westliche Politiker von einer Ermüdung durch die Situation in der Ukraine sprechen würden. «Wir werden laut und entschieden die volle Mobilisierung der freien westlichen Welt für die Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg verlangen.» 

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gehörte Polen zu den wichtigsten politischen und militärischen Unterstützern seines Nachbarlandes. Zuletzt war es aber unter der Vorgängerregierung zu Spannungen zwischen Warschau und Kiew gekommen.

Tusk stellte auch sein Kabinett vor. Neuer Außenminister ist der bisherige EU-Parlamentarier Radoslaw Sikorski. Der 59-Jährige war bereits von 2007 bis 2014 Polens Chefdiplomat, davor diente er als Verteidigungsminister. Sikorski gilt als überzeugter Transatlantiker. Das Verteidigungsressort und zugleich das Amt des Vize-Regierungschefs übernimmt Wladyslaw Kosiniak-Kamisz. Der im Ausland wenig bekannte 42-jährige Arzt ist einer der Chefs der Partei Dritter Weg. Neuer Justizminister ist der 46 Jahre alte Verfassungsrechtler Adam Bodnar. Er war von 2015 bis 2021 Polens Menschenrechtsbeauftragter.