Nach der Festnahme von zwei weiteren Deutschen in der Türkei macht sich der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Martin Schulz, dafür stark, die EU-Beziehungen zu Ankara weitgehend einzufrieren. «Wenn ich Kanzler werde, werde ich (...) die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union abbrechen», sagte er beim TV-Duell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. «Es ist ein Punkt erreicht, in dem wir die wirtschaftlichen Beziehungen, die Finanzbeziehungen, die Zollunion und die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union beenden müssen.» Eine Aufkündigung des umstrittenen EU-Flüchtlingsabkommens halte er allerdings nicht für sinnvoll.

Merkel reagierte zurückhaltend. Sie verwies darauf, dass für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen ein einstimmiger Beschluss der EU nötig sei. Sie werde aber mit ihren «Kollegen (in der EU) noch einmal reden, ob wir zu einer gemeinsamen Position kommen können und diese Beitrittsverhandlungen auch beenden können». Merkel betonte, dass sie mit Außenminister Sigmar Gabriel noch einig gewesen sei, keinen Abbruch zu fordern.

«Die Beitrittsverhandlungen sind im Moment sowieso nicht existent», sagte Merkel. Sie plädierte allerdings für ein Einfrieren der finanziellen Beitrittshilfen für die Türkei in Milliardenhöhe. Nach einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist das komplette Einfrieren dieser Hilfen aber ohne einen Stopp der Beitrittsverhandlungen nicht möglich. Auch Schulz verlangte, die Gelder nicht mehr auszuzahlen.

Beitrittsverhandlungen «weitgehend eine Farce»

Der Stopp der Gespräche war zuvor auch von den Christsozialen und den Linken gefordert worden. Außenminister Gabriel sagte zwar, die Beitrittsverhandlungen seien «weitgehend eine Farce». Dafür gab er dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Schuld. Der Forderung nach einer Aussetzung der Gespräche schloss er sich bei einer Wahlkampfveranstaltung in Goslar aber nicht an.

Kürzlich war bekannt geworden, dass zwei Deutsche im Urlaubsort Antalya festgenommen worden. Ihnen werden Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen, die die türkische Regierung für den gescheiterten Putschversuch vor gut einem Jahr verantwortlich macht. Insgesamt sitzen jetzt zwölf Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis. Die Bundesregierung hat deswegen Mitte Juli einen neuen Kurs in der Türkei-Politik eingeschlagen, die Reisehinweise verschärft und weitere Reaktionen angedroht.

Die türkische Regierung forderte die Bundesregierung am Wochenende auf, sich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen. Deutschland rege sich auf, wenn man Anhänger der Gülen-Bewegung festnehme, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu und fragte die Bundesregierung laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu: «Was geht Dich das an?».

Türkei-Politik «vielleicht weiter überdenken»

Über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen müssten die Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden, was wegen des Widerstands einzelner Mitglieder derzeit aussichtslos erscheint. Eine solche Forderung hat also zunächst einmal nur Symbolwert.

Es gibt aber noch einen anderen Weg: In den Leitlinien für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist vorgesehen, dass die Gespräche bei einem «schwerwiegenden und anhaltenden Verstoß» gegen europäische Grundwerte zumindest vorübergehend gestoppt werden. Konkret genannt sind die Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit.

Es handelt sich also genau um die Prinzipien, bei denen die Bundesregierung klare Verstöße in der Türkei sieht. Eigentlich müsste die EU-Kommission in einem solchen Fall das Aussetzen der Verhandlungen empfehlen. Bei einer Abstimmung darüber, müssten dann nur 16 der insgesamt 28 Mitgliedsstaaten zustimmen, sofern diese Staaten mindestens 65 Prozent aller Bürger in der Union vertreten. Wegen der weitreichenden politischen Wirkung hat die EU-Kommission aber bisher keine solche Empfehlung abgegeben.

Merkel hatte bereits angekündigt, dass die Bundesregierung nun ihre Türkei-Politik «vielleicht weiter überdenken» müsse. Bereits Mitte Juli hatte sie nach der Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner einen Kurswechsel vorgenommen, zunächst aber nur die Reisehinweise verschärft und mit weiteren Reaktionen gedroht.

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