Straßburg - Die große Konferenz zur Zukunft Europas steht nach einem Jahr vor dem Abschluss. Jetzt wurden in Straßburg bei einer letzten Plenarsitzung des bislang einmaligen Bürgerdialogs insgesamt 325 Vorschläge angenommen. Sie sollen am 9. Mai Spitzenvertretern der EU übergeben werden.

Konkret soll die Politik Mindeststandards für die Qualität von Nahrungsmitteln setzen, schnelle Internetverbindungen sicherstellen und die Herabsetzung des Wahlalters bei EU-Wahlen von 18 auf 16 Jahren prüfen. Zudem wird vorgeschlagen, in fast allen Politikbereichen das Einstimmigkeitsprinzip aufzugeben. Damit könnte die EU schneller handeln.

Macron hatte Idee für die Konferenz

Dies ist auch ein Anliegen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auf dessen Idee die Konferenz zurückgeht. Der eben erst wiedergewählte Macron wirbt seit Jahren für einen Neustart der EU. Schon 2019 schrieb er: «Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.» Startschuss war dann im Mai 2021. Seitdem wurde über eine bürgernähere EU disktuiert.

Es gab regionale und nationale Diskussionen, online und offline. Herz der Konferenz war das Plenum, in dem sich sieben Mal Abgeordnete des Europaparlaments und der nationalen Paralamente, Vertreter der EU-Regierungen sowie der EU-Kommission mit zufällig ausgewählten Bürgern trafen. In verschiedenen Gruppen arbeiteten sie zu Themen wie Klimawandel und Umwelt, Gesundheit, Migration oder Demokratie.

EU – viele Rechte und Mögichkeiten

Eine dieser Bürgerinnen ist Antonia Kieper. Die 22-Jährige wohnt in Köln, studiert Jura und hatte sich bis dahin nicht allzu viel mit der EU auseinandergesetzt. Ihr sei nicht bewusst gewesen, wie sie über offene Grenzen und den Euro hinaus profitiere, sagt Kieper der Deutschen Presse-Agentur. Ihr Bild habe sich geändert. «Du hast so viele Rechte und Möglichkeiten in der EU, die hast du nirgendwo anders.» Beispielsweise könne sie von jetzt auf gleich beschließen, in Spanien zu arbeiten - und es wäre kein Problem.

Bei der Zukunftskonferenz arbeitete Kieper am Thema «Demokratie in der EU» mit - wie auch Wiktoria Tyszka Ulężałka, die im polnischen Posen keine 200 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt wohnt. Die 63 Jahre alte Lehrerin der Technischen Universität Posen sagt, für die EU habe sie sich schon zuvor interessiert, vor allem wegen der politischen Lage in ihrer Heimat. «Wenn ich sehe, was in meinem Land passiert, leide ich richtig.» Die unabhängige Justiz werde von den Regierungsparteien komplett zerstört, die Rechte von Frauen würden eingeschränkt.

Und dann auch noch das Gerede vom Polexit, einem polnischen Austritt aus der EU. Ihr Sohn lebt mit seiner polnischen Frau und ihrem Enkelkind in Manchester. Zurück nach Polen würden sie wohl nicht kommen. Dadurch habe sie auch die negativen Folgen des Brexit genauer verfolgt, sagt die Lehrerin. Sie selbst sei alt genug, um zu wissen, wie es in Polen vor dem EU-Beitritt 2004 war - und wie sehr das Land von der EU-Mitgliedschaft profitiere.

Welche Vorschläge können umgesetzt werden?

So hatten viele Teilnehmer ein persönliches Motiv, sich für ein anderes Europa zu engagieren. Doch die Beharrungskräfte in den Regierungen der 27 EU-Staaten sind teils größer. Für wichtige Änderungen wären schließlich Änderungen der EU-Verträge nötig - etwa, um die einstimmige Entscheidungsfindung in außenpolitischen Fragen oder Steuerfragen abzuschaffen. Tyszka Ulężałka ist sich bewusst, dass die Umsetzung der Ideen teils schwierig werden wird. «Aber selbst wenn nur wenige Vorschläge Realität werden, würde das schon etwas ändern.»

War das Ganze in Anbetracht der wirklichen Einflussmöglichkeiten nur nette Selbstbeschäftigung? Für den Grünen-Europaabgeordneten Daniel Freund überwiegt das Positive. Zwar hätten die Regierungen gebremst. Doch schwärmt Freund von einem «Beteiligungsprozess, wie es ihn noch nie gab». Er sieht in dem vergangenen Jahr vor allem Vorarbeit. Auf dieser Grundlage werde nun der Prozess für eine neue Verfassung beginnen.

Zwar sei die Abschlusserklärung der Europakonferenz für keine der Institutionen bindend. Doch könne das EU-Parlament das Verfahren für eine Änderung der Verträge einleiten. Sollten die Staaten mehrheitlich zustimmen, folgt dann womöglich ein neuer Reformprozess.

Weber will EU-Werte vor Extremismus bewahren

Der Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber, wird grundsätzlich. «Unsere Lebensweise wird durch Extremisten in unseren eigenen Ländern und durch Russland und China im Ausland grundlegend in Frage gestellt», sagt der deutsche Politiker der CSU der dpa. Wer Europa davor bewahren wolle, zu den Verlierern des 21. Jahrhunderts zu gehören, müsse größer denken und schneller handeln.

Am diesjährigen Europatag soll die Abschlusserklärung der Konferenz nun an Macron, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola übergeben werden. «Der Prozess der Umgestaltung Europas kann nicht am 9. Mai enden», sagt Weber. «Er sollte am 9. Mai beginnen.»

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Die Anfänge der Europäischen Union wurden auch von wirtschaftlichen Interessen beflügelt. Heute treiben die EU-Länder regen Handel. Durchschnittlich gehen 61 Prozent der Exporte von EU-Ländern an andere EU-Länder. Besondere Bedeutung hat dieser Binnenhandel für die Länder Luxemburg, Tschechien und die Slowakei.

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