Kiew/New York/Moskau - Gut fünf Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs ist das erste Schiff mit Getreide an Bord aus der Ukraine am Dienstag auf dem Weg in Richtung Türkei. Das lang geforderte Ende der Getreide-Blockade löste weltweit ein positives Echo aus. Auch die politische Führung in Kiew äußerte sich vorsichtig optimistisch.

Derweil geht der Streit um die russische Kriegsführung weiter. Die USA warfen Russland «nukleares Säbelrasseln» vor, während der Kreml beteuerte, keinen Atomkrieg beginnen zu wollen. In der Ukraine sollen derweil russische Soldaten US-Angaben zufolge ein Atomkraftwerk als Schutzschild für die eigene Artillerie benutzen. Am Dienstag ist der 160. Tag des Kriegs in der Ukraine.

Selenskyj sieht positives Signal im Ende der Getreide-Blockade

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich nach der Wiederaufnahme der Getreideexporte vorsichtig optimistisch, die globale Versorgungskrise lösen und die eigene Wirtschaft ankurbeln zu können. «Der Hafen hat begonnen zu arbeiten und dies ist ein positives Signal dafür, dass es eine Chance gibt, die Entwicklung der Nahrungsmittelkrise in der Welt zu stoppen», sagte Selenskyj am Montagabend in seiner täglichen Videobotschaft. Seinen Angaben nach warten 16 weitere Schiffe in den Häfen darauf, abgefertigt zu werden.

Selenskyj machte deutlich, dass die Umsetzung des Getreideabkommens, das ein Ende der russischen Seeblockade vorsieht, auch für die Ukraine von enormer Bedeutung ist. Es gehe nicht nur um Milliarden an Deviseneinnahmen. «Ungefähr eine halbe Million Ukrainer sind am Anbau der landwirtschaftlichen Exporterzeugnisse beteiligt, und wenn wir verwandte Industrien hinzufügen, dann sind das noch eine Million Arbeitsplätze zusätzlich», sagte er. Ein Sprecher des russischen Militärs versicherte am Montagabend, dass Russland seine Verpflichtungen zur Umsetzung des Abkommens einhalten werde. Moskau habe alle Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit des Schiffsverkehrs im Schwarzen Meer zu garantieren. Für die ukrainischen Häfen seien entsprechende Korridore geschaffen worden.

In New York begrüßte Außenministerin Annalena Baerbock das Auslaufen des ersten Getreidefrachters als «kleine Geste der Humanität». Bundesagrarminister Cem Özdemir betonte indes die Notwendigkeit für den Ausbau alternativer Transportwege für Getreide aus der Ukraine. «Es geht um permanente Alternativen, nicht um temporäre», sagte der Grünen-Politiker der «Rheinischen Post» (Dienstag). «Ich will die EU-Kommission dafür gewinnen, den Ausbau alternativer Exportrouten zu forcieren.» Die Ukraine dürfe in der Frage nicht weiter auf Russland angewiesen sein.

Atomanlage als «Schutzschild» russischer Truppen?

Derweil kam aus New York auch Kritik an Moskau: US-Außenminister Antony Blinken warf Russland vor, seine Atomwaffen für rücksichtlose Kriegsdrohungen einzusetzen. Frühere Äußerungen von Kremlchef Wladimir Putin, wonach militärische Hilfe für die Ukraine beispiellose Folgen haben könne, seien «gefährliches nukleares Säbelrasseln», sagte Blinken am Montag zum Start der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NVV) in New York.

Die Aussagen stünden im Widerspruch zu internationalen Vereinbarungen. «In unserer Welt ist kein Platz für nukleare Abschreckung auf der Grundlage von Gewalt und Einschüchterung oder Erpressung. Wir müssen zusammenstehen, um dies abzulehnen.» Auch Baerbock verurteilte Russlands «rücksichtslose nukleare Rhetorik». Mit der Ukraine habe Russland ein Land ohne Atomwaffen angegriffen und damit frühere Zusicherungen «brutal verletzt».

Blinken sagte bei einem weiteren Auftritt am Rande der Konferenz, die US-Regierung sei auch «zutiefst besorgt» darüber, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine mehrere dortige Atomkraftanlagen eingenommen habe. Mit Blick auf das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja etwa gebe es glaubhafte Berichte, dass Russland die Anlage als eine Art Schutzschild benutze - also aus der Nähe der Anlage auf ukrainische Kräfte schieße. Die Ukrainer könnten nicht zurückschießen, weil es dadurch zu einem schrecklichen atomaren Unfall kommen könnte. Medien hatten zuvor berichtet, dass sich vor allem russische Artillerie im Gebiet des Kernkraftwerks verschanzt habe und von dort auf ukrainische Stellungen schieße.

Deutsche Artilleriesysteme in der Ukraine

Die Ukrainer freuen sich derweil über eine Verstärkung ihrer eigenen Artilleriesysteme. Am Montag trafen nach Angaben aus Kiew Mehrfachraketenwerfer des Typs Mars II aus Deutschland ein. Verteidigungsminister Olexej Resnikow bedankte sich bei seiner deutschen Kollegin Christine Lambrecht für die Waffenhilfe. Lambrecht hatte die Lieferung bereits in der vergangenen Woche annonciert. Demnach gingen drei Mars II Systeme an die Ukraine. An schweren Waffen hat Deutschland zudem die Flugabwehrpanzer Gepard und Artilleriegeschütze vom Typ Panzerhaubitze 2000 an Kiew übergeben.

Kremlchef Wladimir Putin trat den seit Kriegsbeginn wachsenden Befürchtungen entgegen, dass Moskau in der Ukraine womöglich Atomwaffen einsetzen könnte. «Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf», schrieb Putin in einem am Montag auf der Webseite des Kremls veröffentlichten Grußwort an die Teilnehmer der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York. Russland werde sich an seine Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag halten.

Die Spannungen mit dem Westen verstärken sich ungeachtet dessen weiter: Das russische Außenministerium setzte am Montag weitere 39 Politiker, Geschäftsleute und Journalisten aus Großbritannien auf seine Schwarze Liste, darunter Ex-Premier David Cameron. Allein in Großbritannien sind nun 255 Personen von den russischen Sanktionen betroffen. Zudem erklärte die russische Führung die gemeinnützige britische Organisation Calvert 22 Foundation, die sich vor allem auf den Kulturaustausch mit Osteuropa spezialisiert hat, zur in Russland unerwünschten Organisation, was faktisch einem Verbot gleichkommt.

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 "Übersichtskarte zum Abkommen zum Getreideexport (Wiederholung)"; Grafik: P. Massow; Redaktion: B. Schaller

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