Der Sieg fiel sogar noch deutlicher aus als erwartet: nach der Parlamentswahl vom Sonntag hält Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban die Zügel unverändert fest in der Hand. Kritiker sehen Ungarn damit auf der letzten Etappe zur von Orban gewünschten «illiberalen Demokratie». Für die Europäische Union könnte das zur Zerreißprobe werden. Damit wächst auch der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihren christdemokratischen Parteikollegen Orban zur Räson zu bringen.

Was hat Orban jetzt vor?

Er wird weiter an dem von ihm 2014 ausgerufenen «illiberalen Staat» arbeiten. Er wird versuchen, die letzten unabhängigen Medien mundtot zu machen, darunter den Fernsehsender RTL-Klub, eine Tochter der RTL-Gruppe. Er wird unbequeme Zivilorganisationen in die Illegalität drängen. Er wird die immer noch relativ unabhängige Gerichtsbarkeit seiner Kontrolle unterwerfen. Auf europäischer Ebene wird er sich weiter gegen jede auf Solidarität gegründete Asyl- und Flüchtlingspolitik stemmen.

Und was bedeutet das für Europa?

Äußerlich hat sich für die EU wenig geändert: Orban war schon seit Amtsantritt 2010 ein schwieriger Partner, der für seinen Umbau von Verfassung, Justiz und Medien immer wieder EU-Rügen und -Klagen einsteckte. Seit Jahren schon wettert der Regierungschef zuhause gegen Brüssel und propagiert den starken Nationalstaat. Und doch dürfte der Umgang mit ihm für die EU-Partner jetzt noch schwieriger werden. «Diese Wahl ist wahrscheinlich die letzte, bevor Ungarn von einer heute schon tief verletzten Demokratie zu dem wird, was Politologen eine ausgewachsene Wahl-Autokratie nennen», prophezeite düster die «New York Times». Für die EU als Verbund demokratischer Staaten bleibt die Frage, wie sie mit Orban noch Politik machen kann.

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Deutlicher als erwartet hat der EU-kritische Regierungschef Viktor Orban die Parlamentswahl in Ungarn gewonnen. 

War nicht mal die Rede davon, Ungarn aus der EU zu werfen?

Das hatte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn 2016 einmal wegen Orbans Abschottung gegen Flüchtlinge gefordert - allerdings wohl eher im Zorn und aus Frust darüber, dass EU-Recht einen solchen Ausschluss nicht vorsieht.

Kann die EU denn gar nichts unternehmen?

Denkbar ist ein Sanktionsverfahren wegen Gefährdung des Rechtsstaats und europäischer Werte nach Artikel 7 des EU-Vertrags, wie es die EU-Kommission jüngst gegen Polen startete. Damit können einem Land Stimmrechte im Ministerrat entzogen werden. Das EU-Parlament drohte schon im Mai 2017 mit diesem Knüppel. Für Donnerstag erwarten die Abgeordneten einen vermutlich kritischen Bericht der niederländischen Grünen Judith Sargentini zum Zustand der ungarischen Demokratie. Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts ist trotzdem unsicher, ob sich im Parlament eine Mehrheit für ein Artikel-7-Verfahren findet. «Ich sehe keinen politischen Willen», sagt Lamberts. Und geißelt vor allem die christdemokratische EVP, zu der neben CDU und CSU nach wie vor auch Orbans Fidesz-Partei gehört.

Welche Rolle spielt Merkel dabei?

«In Ungarn herrscht nationalistischer Populismus, ich weiß keine andere Bezeichnung dafür - mit der Hetze gegen Ausländer und Zuwanderung, dem Kreuzzug gegen George Soros und einem kaum verhohlenen Anti-Semitismus», ereifert sich Lamberts. «Und trotzdem wird Orban aktiv unterstützt von der EVP.» Er plädiere nicht für einen Rauswurf Ungarns aus der EU, aber: «Wenn Angela Merkel direkt mit Orban reden und ihn unter Druck setzen würde, wäre das sicher hilfreich», meint der Grüne. Für denkbar hält er auch, EU-Gelder zurückzuhalten, wenn Missbrauch oder Korruption nachweisbar sind.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger droht ebenfalls mit dem finanziellen Hebel: «Wir wollen vorschlagen, dass im künftigen Haushaltsrahmen die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien als Bedingung festgelegt wird», sagte Oettinger dem «Tagesspiegel am Sonntag». Hieb- und stichfeste Kriterien dafür zu finden, wird aber kompliziert.

Kann man sich mit Orban arrangieren?

Die EVP und ihr Fraktionschef Manfred Weber setzen auf eine Umarmungsstrategie und betonen, dass man Orban als Mitglied der eigenen Parteienfamilie immer wieder eingefangen habe. So besserte Orban einige umstrittene Gesetze etwas nach, um Kritik aus Brüssel zu dämpfen. 2017 stimmte er bei der Bestätigung von EU-Ratschef Donald Tusk mit den übrigen EU-Ländern gegen Polen, obwohl er sonst die nationalkonservative Regierung in Warschau unterstützt.

Nun stehen in der EU wichtige Entscheidungen an. Die langfristige Finanzplanung und mögliche EU-Reformen müssen einstimmig entschieden werden. Bei der Asylrechtsreform, die bis Juni unter Dach und Fach sein soll, könnte Orbans strikte Anti-Migrations-Politik theoretisch überstimmt werden, doch Weber umwirbt den Ungarn bereits für einen Kompromiss.

So bleibt Orban erhebliche Macht - und seinen Kritikern die Frage, ob die EU ihn einhegt oder sich von ihm treiben lässt.

Von Verena Schmitt-Roschmann und Gregor Mayer

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