Berlin – Ein Duell gewinnt an Reiz, je gegensätzlicher die Kontrahenten sind. Wenn es um konträre Positionen, einander widerstrebende Argumente und grundverschiedene Typen geht. Bei Angela Merkel und Martin Schulz verhält sich die Sache etwas anders.

Die Kanzlerin lässt sich zu keiner Boshaftigkeit über ihren Herausforderer hinreißen. Das wäre nicht ihre Art. Merkels Modus: Sie bedenkt Schulz ab und an mit einer Nettigkeit, nimmt seinen Namen aber so gut wie nie in den Mund. Attacken lässt sie ins Leere laufen. Kritik abperlen. Demonstrative Nichtbeachtung mit einer Spur Gönnertum. Auf die Frage, ob sie Schulz unterschätzt habe, sagte Merkel kürzlich in einem Interview: «Ich unterschätze meine Mitbewerber nie. Ich schätze meine Mitbewerber.»

Politische Erfolge als Wahlkampfproblem

Schulz wiederum arbeitet sich nach Kräften an der CDU-Chefin ab. Sein Dauer-Vorwurf: Merkel verweigere die inhaltliche Auseinandersetzung. Auf persönliche Attacken verzichtet aber auch er. Der SPD-Vorsitzende ist kein Haudrauf, kein Lautsprecher, eher der sachliche Typ, bodenständig, einigermaßen unprätentiös, zumindest was sein Äußeres angeht. In alldem ist er Merkel sehr ähnlich. Wohl mehr, als ihm lieb ist. Auch inhaltlich liegen die beiden bei vielen Fragen nicht sehr weit auseinander. Das ist für Schulz ein Problem.

In den vergangenen vier Jahren haben Union und SPD ohne große Krisen zusammengearbeitet. Die SPD setzte viele Kernforderungen durch. Mindestlohn, Angleichung der Renten in Ost und West, Frauenquote, Verbesserungen für Familien. Solche Dinge. Im Wahlkampf können die SPD und ihr Frontmann davon aber kaum profitieren. Im Gegenteil: Schulz muss sich ständig nach der Mitverantwortung seiner Partei aus zwei großen Koalitionen fragen lassen, wenn er Missstände anprangert.

Auf europäischer Ebene machte Schulz als Präsident des EU-Parlaments ebenfalls viel gemeinsam mit Merkel, auch in der Flüchtlingskrise. Die beiden sind einander nicht unsympathisch. Nun auf kolossale Konfrontation umzuschalten, fällt da schwer. Schulz hat extra kein Regierungsamt übernommen, um Merkel im Wahlkampf besser angreifen zu können. Eigentlich. Tatsächlich hat die Abteilung Attacke aber einer übernommen, der mit am Kabinettstisch sitzt: der Außenminister und Vizekanzler, Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der poltert immer mal wieder heftig gegen Merkel und die Union.

Hoffnungsfroh in den Endspurt

Schulz rackert sich derweil inhaltlich ab, präsentiert Konzepte, Fünf-Punkte-Pläne, Zehn-Punkte-Kataloge. Autos, Rente, Arbeit, Bildung, Soziales, Gerechtigkeit – keines der Schulz-Themen zündet so richtig. Stattdessen kommen immer neue Störfaktoren in die Quere: der Verlust der SPD-geführten Regierungsmehrheit in Niedersachsen etwa oder Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder auf russischen Abwegen.

Nun sind es nur noch wenige Wochen bis zur Wahl. Die SPD-Leute hoffen auf den Endspurt, auf die heiße Phase vor dem 24. September – wenn es vielleicht emotionaler wird und die Kandidaten näher ran müssen an die Menschen. Da liege die Stärke von Schulz, meinen sie. Aber ist er wirklich besser im gefühligen Umgang mit dem Bürger? Und welches emotionale Thema könnte den Wahlkampf noch drehen? Ob das einzige TV-Duell der beiden am 3. September da mehr Klarheit bringt?

Unvorhersehbare Faktoren

Seit Wochen liegt der Umfrage-Vorsprung der Union vor der SPD bei gut 15 Punkten. Und auch wenn Schulz öffentlich tapfer seine Chancen beschwört («Ich werde Kanzler»), sieht es nicht so aus, als könne er den Trend noch umkehren. In der Union wird aber vor zu viel Siegesgewissheit gewarnt: Viele Anhänger könnten glauben, die Wahl sei schon gelaufen und zu Hause bleiben. Unvorhersehbare Faktoren wie ein erneuter Terroranschlag, eine Desinformationskampagne fremder Mächte oder eine erneute Zuspitzung der Flüchtlingskrise könnten Merkels Erfolg ebenfalls noch gefährden, fürchten Unions-Strategen.

Interne Querelen dürften ihr vorerst nicht mehr gefährlich werden. CSU-Chef Horst Seehofer hat seine Attacken auf Merkels Asylpolitik vorerst eingestellt. Der Streit um die von ihm verlangte Obergrenze ist vertagt. Auf die Zeit nach der Wahl.

Und Europa? Es ist Schulz' Herzensthema. Er hat angekündigt, Merkel hier zu stellen. Bislang mit mäßigem Erfolg. Die CDU-Frontfrau reagiert auf ihre Art und betont öffentlich, gerade hier liege die große Gemeinsamkeit zwischen ihr und ihrem Herausforderer. Beide seien schließlich «hoch europäisch». Das beruhige sie.

Wahlkampf mit Amtsbonus

Mit dieser dezenten Gemeinheit will Merkel Schulz wohl den Wind aus den Segeln nehmen. Ihre Botschaft: Es gibt hier keine großen Unterschiede. Und warum bitte wechseln, wenn sich beide Optionen so ähneln und sich die eine Variante schon «bewährt» hat.

Merkel ist in einer komfortablen Lage. Sie macht ihren Wahlkampf mit dem Amtsbonus im Rücken. Und sie hat jede Menge Koalitionsoptionen und damit Druckpotenzial für die Zeit nach der Wahl. Da wäre Schwarz-Gelb – die für die Union nahe liegende, wenn auch nicht heiß ersehnte Variante. Dann wären da noch Schwarz-Grün oder Jamaika mit Union, FDP und Grünen. Oder eine weitere Runde große Koalition.

Schwarz-Rot wollen zwar weder die Union noch die SPD besonders gerne. Aber für die Genossen könnte es am Ende die einzige Möglichkeit sein, an der Regierung zu bleiben. Die Auswahl ist nicht sehr groß. Für Rot-Rot-Grün im Bund sieht es derzeit denkbar schlecht aus. Die Linke fühlt sich schon bemüßigt, dem SPD-Oberen Ratschläge zu geben. Linke-Chef Bernd Riexinger mahnt, Schulz müsse sich zu sozialdemokratischen Werten bekennen und als klare Alternative zu Merkel präsentieren. «Man braucht keine zwei Merkels im Land.»

Von Christiane Jacke und Jörg Blank, dpa

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